Bürgerversicherung
Tag drei mit Schulz – SPD setzt auf Gesundheit
Die SPD will die Finanzierung des Gesundheitswesens umkrempeln. Paritätische Bürgerversicherung und die Vereinheitlichung der Arzthonorare stehen auf der Agenda.
Veröffentlicht:BERLIN. Der Kanzlerkandidat und designierte Parteivorsitzende der SPD wagt den Spagat: Investitionen in Bildung, berufliche Qualifikation, Forschung und Investitionen sollen das "ungeheure Potenzial" der Wirtschaft in Deutschland entfesseln. Gleichzeitig soll mit der paritätischen Bürgerversicherung die Deckelung des Arbeitgeberbeitrags zur gesetzlichen Krankenversicherung von 7,3 Prozent aufgehoben werden. Schulz, der eher dem wirtschaftskonservativen Flügel der Sozialdemokraten zugerechnet wird, will so gegen die "Zwei-Klassen-Medizin" vorgehen.
Im Wahlkampf will der Ex-Präsident des Europaparlaments Gerechtigkeitsthemen ansprechen. "Wir haben in einem der wohlhabendsten Länder der Welt eine sehr ungerechte Verteilung dieses Wohlstands", sagte der SPD-Hoffnungsträger am Montag im Willy-Brandt-Haus bei seinem Auftritt vor der Hauptstadtpresse. Konkret bedeutet das für ihn die Bekämpfung drohender Altersarmut über die Tarifpolitik. Und noch konkreter: Die Menschen, die in Pflegeberufen arbeiteten, die Familien, die Pflegebedürftige betreuen, dürften darüber nicht finanziell und auch nicht physisch in die Knie gezwungen werden, sagte der 60-Jährige.
Duale System ohne Zukunft
Dass die SPD die Zeit für eine Bürgerversicherung gekommen sieht, hatte schon in der vergangenen Woche Cornelia Prüfer-Storcks für die SPD beim BMC-Jahreskongress in Berlin deutlich bekräftigt. "Das duale System ist ohne Zukunft", sagte die Hamburger Gesundheitssenatorin in der Diskussionsrunde "Gesundheitspolitik nach den Wahlen: Vision 2017+". Die SPD setze sich für eine paritätisch finanzierte Bürgerversicherung mit einer starken Steuersäule ein, so Prüfer-Storcks weiter.
Die Krankenkassen sollten wieder den Beitrag festsetzen – aber eben bei paritätischer Finanzierung. Der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen solle über die Versorgungsqualität laufen.
Auch bei der Honorierung ärztlicher Leistungen will die SPD kräftig Hand anlegen. "Weder die GOÄ noch der EBM sind zukunftsfähig, beide sind zu kompliziert", kündigte Prüfer-Storcks in Berlin an. Es sei ein System nötig, "das Fehlanreize beseitigt und eine Bezahlung nicht vom Versichertenstatus abhängig macht". Die Honorierung solle auf jeden Fall morbiditätsbezogen sein, die SPD setze sich zudem dafür ein, dass Hausärzte besser für ihre Rolle in der Koordination der Versorgung bezahlt werden, nicht so sehr kontaktabhängig.
"Wir brauchen den Lotsen im System", betonte die Gesundheitssenatorin. Bei chronisch Kranken könne diese Aufgabe durchaus auch der Facharzt übernehmen.
Ganz weit oben auf der Agenda steht für Prüfer-Storcks die "Durchsetzung der sektorübergreifenden Versorgung". Gelingen könne das, wenn Akteure aller Versorgungsebenen ohne technische Hürden auf Patientendaten auch bei anderen Akteuren in der Versorgung zugreifen könnten. Um dem Grundsatz "ambulant vor stationär" stärker Geltung zu verschaffen, strebe die SPD außerdem an, dass es für die gleiche Leistung auch das gleiche Geld geben müsse, gleichgültig, auf welcher Versorgungsebene sie erbracht wird.
Das System der Fallpauschalen (DRG), über die Kliniken mittlerweile auch ihre Investitionen finanzieren müssten, habe vor allem zu einer Arbeitsverdichtung in der Pflege geführt, weil mit weniger Personal mehr Patienten betreut werden müssten. "Hier müssen wir gegensteuern", sagte Prüfer-Storcks.
Wenn man höhere Investitionen in den Kliniken wolle, dann müsse man ein Bundesprogramm für Investitionen auflegen, regte die Gesundheitspolitikerin aus Hamburg an, "das wäre hilfreich". Wenn die Auszahlung der Mittel daran geknüpft werde, dass die Länder die Kofinanzierung der geförderten Investitionen übernehmen, dann ließe sich damit auch erreichen, dass die Länder ihrer Verantwortung für die Klinikinvestitionen gerecht würden.
Auf der Agenda werde nach der Bundestagswahl noch die Umsetzung des Masterplans für die Reform des Medizinstudiums bleiben, ebenso die Generalistik in der Pflegeausbildung, sagte Prüfer-Storcks.
"Paritätische Bürgerversicherung"
- Bürgerbeitrag: Arbeitnehmer, Beamte und Selbstständige können Beiträge in die Bürgerversicherung leisten. Beitragsbemessungsgrenze soll bleiben.
- Arbeitgeberbeitrag: Soll als prozentualer Anteil an der gesamten Lohnsumme ausgestaltet werden. Arbeitsintensive Branchen sollen entlastet, kapitalintensive belastet werden.
- Steueranteil: Dynamisierter Bundeszuschuss, unter anderem aus einer Erhöhung der Zinsabgeltungssteuer.
Quelle: SPD-Parteivorstand 2011