Krankenhausfinanzierung
Zukunft der DRG: Von der Menge zur Qualität
Die Pandemie hat neue Reformoptionen freigespült. Ins Blickfeld gerät die Krankenhausfinanzierung. Ein Gesundheitsweiser hat für die Techniker Krankenkasse Möglichkeiten ausgelotet, das Fallpauschalensystem weiterzuentwickeln. Die niedergelassenen Ärzte spielen darin eine herausragende Rolle.
Veröffentlicht:Berlin. Die aktuelle Krankenhausfinanzierung steht seit geraumer Zeit in Frage. Jetzt gibt es zunehmend Ansätze, in der kommenden Legislaturperiode die fast ausschließlich auf Fallpauschalen setzende Finanzierung unter die Lupe zu nehmen. Aktivitäten gibt es auf verschiedenen Seiten.
Schon mit dem MDK-Gesetz bekam die Selbstverwaltung den Auftrag, einen Katalog sowohl ambulant als auch stationär zu erbringender Operationen samt einheitlicher Vergütung auf Basis des EBM zu erstellen. Zuvor hatte sich bereits eine Bund-Länder-AG auf den Weg gemacht, die Beziehungen zwischen ambulantem und stationärem Sektor neu zu ordnen. Jetzt steigen die Parteien im Zuge ihrer Programmdiskussionen im Vorfeld des Wahljahres ein.
Eine Arbeitsgruppe der Grünen plädiert in einem Papier dafür, die Trennung zwischen den Vergütungssystemen in einem virtuellen Budget aufzuheben, um Versorgungsbrüche zu überwinden. Um Mengenanreize zu vermindern, sollen Besonderheiten der Versorgungslandschaft berücksichtigt werden. Bedarfsnotwendige, fallzahlunabhängige Leistungen könnten dann über Vorhaltevorgaben abgesichert werden.
Vorhaltepauschalen statt OPs
Vorhaltepauschalen als ein Element zur Sicherung der Versorgung sind auch Gegenstand eines aktuellen Gutachtens des Gesundheitssachverständigen Professor Jonas Schreyögg von der Universität Hamburg. Im Auftrag der Techniker Krankenkasse hat er die Krankenhausvergütung unter die Lupe genommen.
Die Mengenorientierung in den Chirurgien und Orthopädien gehe zu Lasten der weniger lukrativen Abteilungen, sagte Schreyögg bei der Vorstellung des Gutachtens am Dienstagabend in Berlin. Dass internistische Abteilungen und Kinderheilkunde eingespart würden, sei eine bedenkliche Entwicklung.
Internisten haben gewarnt
Die Verbände der Internisten warnen in diesem Zusammenhang seit geraumer Zeit vor einer Ausdünnung der stationären Versorgung an dieser Stelle. Die schlage auf die Nachwuchsgewinnung für den ambulanten Sektor durch, weil Jungmediziner immer weniger Orte zur Verfügung hätten, wo sie ihren Facharzt in einem internistischen Fach machen könnten.
Fachabteilungen mit einem hohen Anteil nicht planbarer Fälle und geringer Kapazitätsauslastung sollten daher in der Vergütung mit einem Vorhalteanteil berücksichtigt werden, sagte Schreyögg.
Heilige Kuh nicht schlachten
Grundsätzlich solle die „heilige Kuh“ DRG nicht geschlachtet, wohl aber weiterentwickelt werden können. Zum Beispiel müssten die DRG ja nicht zwingend einheitlich ausfallen. Sie könnten auch nach Versorgungsstufen gegliedert werden. Zum dritten könnten die Fallpauschalen auch nach Qualität gestaffelt werden, indem sie an die Einhaltung von Leitlinien geknüpft würden.
Die Vorschläge lehnen sich an Vorbilder in Frankreich, England und Österreich an. Aber auch hierzulande sind sie in Ansätzen vorhanden. Nach Versorgungsstufen hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auch die Pauschalen für das Freihalten von Betten während der Pandemie gestaffelt. Die Vergütung für die Teilnahme an der Notfallversorgung ist ebenfalls an die Versorgungsstufen geknüpft. Die Qualitäts-DRG wiederum ist bereits in den Komplexpauschalen angelegt.
Niedergelassene als Rollenmodell
Weitere Reformoptionen sieht der Gesundheitsweise in der Gleichsetzung stationärer und ambulanter Vergütung. Unbestritten ist die positiv besetzte Rolle der niedergelassenen Ärzte als „ambulanter Schutzwall“ in der Pandemie. Sie hätten den Krankenhäusern den Rücken freigehalten. Dieses Rollenmodell würde Schreyögg gerne auch beim Operieren umgesetzt sehen. Dass immer noch Hernien und Katarakte auch stationär operiert würden, sei ausschließlich aus der DRG-Logik zu verstehen.
Ein Kernvorschlag Schreyöggs zielt denn auch darauf, die niedergelassenen Ärzte stärker als heute einzubinden. Sie könnten in einer Übergangszeit von drei bis fünf Jahren nach einer Finanzierungsreform ambulante OP-Zentren aufbauen und die Krankenhäuser von der Mengenorientierung aufgrund Gewinnerwartungsdruck entlasten.
Die Krankenhäuser sieht er allerdings mit im Wettbewerb um dieses Stück aus dem ambulanten Kuchen. Mit den Integrierten Gesundheitszentren, die die Kassenärztliche Bundesvereinigung entwickelt und in einigen wenigen Fällen bereits umgesetzt hat, gibt es hier ein bereits realisiertes Modell.
TK: Teufelskreis durchbrechen
Im Baukasten des Gutachters gibt es ferner Regionalbudgets und „episodenbasierte Vergütung“ für Behandlungsteams, wie sie auch die in dem Papier der Grünen aufgegriffen wurden. Schreyögg berichtete auf Nachfrage, dass er Politikern der Union, der SPD, der FDP und der Grünen, die Inhalte des Gutachtens bereits vorgetragen und positive Resonanz erhalten habe.
Die Studie ist im Auftrag der Techniker Krankenkasse entstanden. Deren Vize-Chef Thomas Ballast machte sich für Vorhaltekosten stark. „Wir brauchen eine Struktur, in der Krankenhäuser nicht mehr in die Menge gehen müssen“, sagte Ballast. Die Fallpauschalen (DRG) hätten seit ihrer Einführung 2003 in weiten Teilen für Transparenz, Effizienz und Wirtschaftlichkeit gesorgt.
Durch die einheitlichen Preise blieben spezifische Vorhaltekosten oder strukturbedingte Aufwände von Kliniken aber unzureichend finanziert. Das schaffe Anreize, möglichst viele, „vergütungsintensive“ Operationen anzubieten und vorzunehmen, selbst wenn ein Eingriff nicht zwingend erforderlich sei. Dieser „Teufelskreis“ müsse durchbrochen werden.