Gutachten des IGES-Instituts

Kassen wollen Update für die Weiterbildung Allgemeinmedizin

Der GKV-Spitzenverband empfiehlt den Blick ins benachbarte Ausland, um mehr junge Ärztinnen und Ärzte für die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin zu gewinnen. Die KBV wittert in dem Vorhaben „staatlichen Dirigismus“.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Schild auf dem Weiterbildung steht

Nach Ansicht des GKV-Spitzenverbands kann allein durch den Einsatz von immer mehr Fördermitteln das Ziel, genügend Nachwuchs für Hausarztpraxen zu gewinnen, „ganz offensichtlich nicht erreicht werden“.

© m.schuckart / stock.adobe.com

Berlin. Der GKV-Spitzenverband drängt darauf, die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin neu auszurichten. Obwohl im Jahr 2021 fast 300 Millionen Euro in die Förderung von allgemeinmedizinischen Weiterbildungsstellen geflossen sind, sei die Zahl der Weiterbildungsabschlüsse seit Ende der 90er Jahre – dem Beginn der Förderung –, nur marginal gestiegen, sagte Dr. Doris Pfeiffer, die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands.

Unmittelbar vor Start der Förderung machten im Jahr 1998 bundesweit 1.700 Ärztinnen und Ärzte ihren Facharztabschluss in der Weiterbildung. Im Vorjahr sei diese Zahl lediglich auf 1.900 gestiegen. Der Anteil der Abschlüsse in der Allgemeinmedizin gemessen an der Gesamtzahl aller Facharztabschlüsse habe sogar abgenommen, und zwar von 16,1 Prozent (1998) auf zuletzt 13,3 Prozent (siehe nachfolgende Grafik). Dieses Ergebnis mache deutlich, dass es ein „Weiter so“ nicht geben könne. „Allein durch den Einsatz von immer mehr Fördermitteln (...) kann das eigentliche Ziel – genügend Nachwuchs für Hausarztpraxen – ganz offensichtlich nicht erreicht werden“, erklärte Pfeiffer am Freitag.

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Mehr Hausärzte gehen in Rente als Nachwuchs nachkommt

In einem vom GKV-Spitzenverband beauftragten Gutachten kommt das IGES-Institut zum Schluss, dass es in den vergangenen 25 Jahren noch nicht einmal gelungen ist, den Anteil der Hausärzte/Praktischen Ärzte bei rund 41 Prozent zu halten (1999) – im Vorjahr lag er nur noch bei 36 Prozent. Im Ergebnis könnten die altersbedingten Abgänge aus der hausärztlichen Versorgung nicht nur den Nachwuchs kompensiert werden, heißt es im Gutachten. Im Vorjahr überstiegen die Abgänge die Zugänge um 364 Hausärztinnen und Hausärzte.

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Betrachtet man nicht nur Köpfe, sondern Versorgungsanteile, dann sind die Kapazitäten in der hausärztlichen Versorgung zwischen 2013 und 2022 sogar um zwei Prozent zurückgegangen. Hinzu kommt, dass der Nachwuchs viel länger benötigt als eigentlich angekommen, bis er in der Versorgung ankommt. Nur 18 Prozent der Teilnehmer in der allgemeinmedizinischen Weiterbildung absolvieren diese in bis zu sechs Jahren. Auf Basis von Daten des Weiterbildungsregisters der Landesärztekammer Hessen ergebe sich eine tatsächliche Weiterbildungsdauer von zehn bis elf Jahren. Aus einem in diesem Jahr besetzten Medizinstudienplatz würde demnach erst 2039/2040 eine Fachärztin oder Facharzt.

„Nützliche Denkanstöße“ aus dem Ausland

Vor diesem Hintergrund hat das IGES-Institut Rahmenbedingungen und Ergebnisse der allgemeinmedizinischen Weiterbildung in Belgien, Frankreich, Niederlande Österreich und in der Schweiz. Aufgrund der Komplexität von Gesundheitssystem ließen sich zwar einzelne Maßnahmen nicht umstandslos auf Deutschland transferieren – nützliche Denkanstöße ergäben sich durch den Blick in Nachbarländer aber schon.

Auf dieser Basis leitet das IGES-Institut Spezifika der Weiterbildung in den untersuchten Ländern sowie „mögliche Erfolgsfaktoren“ für die Weiterbildung ab:

Weiterbildungszeiten: Mit Ausnahme der Schweiz sind die formalen Weiterbildungszeiten kürzer als in Deutschland. So sind es in Belgien, Frankreich und den Niederlanden drei Jahre. Jüngst beziehungsweise in naher Zukunft werden diese allerdings verlängert, so in Frankreich von 36 auf 48 Monate und in Österreich von 45 auf 60 Monate.

Strukturiertes curriculares Weiterbildungsprogramm: Zugleich sei das Weiterbildungskonzept in diesen Ländern stark curricular strukturiert. Abbrüche der Weiterbildung seien dort genau selten wie größere Überschreitungen der vorgesehenen Weiterbildungszeit. In Belgien, Frankreich, den Niederlanden und in der Schweiz seien die Medizinischen Fakultäten oder die Allgemeinmedizinischen Institute ganz oder teilweise mit der Organisation und Umsetzung der Weiterbildung betraut. So blieben die Universitäten auch in der Weiterbildungszeit die „wichtigsten Partner“ der angehenden Fachärzte. Nach Ansicht des IGES-Instituts ist die starke Beteiligung der universitären Institute „ein wichtiger Erfolgsfaktor der Professionalisierung“ der Weiterbildung. In Belgien, Frankreich und den Niederlanden würden die jungen Ärztinnen und Ärzte eng begleitet und koordinierend unterstützt.

Breites Spektrum der Versorgungsaufgaben: Die Autoren sehen „Hinweise“ darauf, dass die Attraktivität der hausärztlichen Berufslaufbahn in jenen Ländern höher ist, in denen Hausärzte als erste Anlaufstelle und Koordinatoren der Versorgung arbeiten. Diese Koordinations- oder Gatekeeping-Funktion sei in den Niederlanden am stärksten ausgeprägt.

Gehaltserwartungen: In keinem der untersuchten Länder befinden sich die durchschnittlichen Gehälter von Hausärzten in der Spitzengruppe der ärztlichen Fachrichtungen. In Österreich wirke sich dies negativ auf die Attraktivität der hausärztlichen Laufbahn aus. Anders sei dies beispielsweise in Belgien oder der Schweiz. Das Interesse an der Weiterbildung „Allgemeine Innere Medizin“ habe in der Schweiz trotz des nicht unerheblichen Gehaltsunterschieds zu anderen Fachrichtungen zuletzt sogar wieder zugenommen, heißt es.

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Zu den konkreten Empfehlungen der Gutachter gehört die Formulierung einer „Zukunftsstrategie“ für die hausärztliche Versorgungsebene: „In Deutschland mangelt es an einer politisch konsentierten und durch konkrete Maßnahmen unterlegten Zukunftsstrategie, welche Aufgaben und welche Rollen die primäre, hausärztliche Versorgung im Gesundheitssystem der 2030 Jahre (...) einnehmen soll.“ Stattdessen werde bisher das Bild eines „von zunehmender Auszehrung, Überlastung und Überforderung gekennzeichneten Berufsfelds vermittelt“, heißt es in der IGES-Studie.

Kompetenzzentren Weiterbildung sollten verbindliches Angebot werden

Mit Blick auf die stärker curriculäre Strukturierung der Weiterbildung in den Nachbarländern könne in Deutschland bei den Kompetenzzentren Weiterbildung angeknüpft werden. „Die Nutzung dieser Angebote sollte verbindlicher sowie als Anspruch der ÄiW ausgestaltet werden“, heißt es.

Der GKV-Spitzenverband beruft sich auf das Gutachten für seine Forderung, dass der Anteil der Ärzte in der Weiterbildung Allgemeinmedizin nur „durch eine sehr stärker bedarfsorientierte Steuerung“ gesteigert werden könne. Dieses Vorgehen ist am Freitag bei der KBV schlecht angekommen. „Der GKV-Spitzenverband schwelgt offenbar in längst vergessen geglaubter zentraler staatlicher Planungsfantasie. Er liebäugelt mit einer zentralen Planung der Weiterbildung Allgemeinmedizin durch die Bundesländer“, kommentierte KBV-Vorstandsvize Dr. Stephan Hofmeister den Vorschlag des Kassenverbands.

Das etablierte Förderprogramm Allgemeinmedizin habe sich „bewährt“ und den „Abwärtstrend aufgefangen“. Es sei der falsche Weg, dieses Programm nun „abwracken“ zu wollen, so die KBV.

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Kommentare
Dr. Rosemarie Theis 03.12.202314:12 Uhr

Die KVB ist nicht mehr in der Lage,die Sicherstellung der Versorgung zu gewährleisten.
Sie verhindert sogar durch überbordende Bürokratie bei Anträgen und Genehmigungen Niederlassungen.
Sie hat nicht verstanden,dass durch inzwischen frauendominierte Hausarztmedizin die Tendenz zum angestellten Arzt geht.
Wenn Dann in einer Notsituation ein MVZ an einer Praxis interessiert ist,wird Ablehnung gezeigt,aber Alternativen z.b. Einsteigen der Kv nicht angeboten.
Erhalten der lukrativen Jobs stehtimVordergrund!!
Sie sind aber dabei,sich abzuschaffen.

Andreas Hoffmann 03.12.202310:06 Uhr

Die Kassen haben es in der Hand, die Tätigkeit als Facharzt (!) für Allgemeinmedizin in kürzester Zeit deutlich attraktiver zu machen. Während diverser Auslandstätigkeiten durfte ich feststellen, wie vielfältig die Tätigkeit als Family Doctor bzw. GP so sein kann. Es ist frustrierend, wie viel von dem, was wir - auch in Deutschland - als Generalisten so während der Weiterbildung lernen, wir dann als Vertragsärzte nicht einsetzen, weil es nicht vergütet wird! Dinge, die ich einst als Leitender Oberarzt meinen Kollegen beigebracht habe, darf ich heute nicht abrechnen, weil im hausärztlichen Bereich von der Vergütung ausgeschlossen. Also Überweisung unterschreiben. Andere Dinge sind schlicht nicht kostendeckend, also Überweisung schreiben. Ich bin mir sicher, viele Kollegen, die schon da sind und nicht erst zukünftig ausgebildet werden müssen, haben viele Kompetenzen, die zum Wohle der Patienten und zur Verbesserung der Attraktivität der generalistischen Tätigkeit eingesetzt werden könnten, wenn die Kassen nur wollen würden. Hier ausschließlich auf die (sicher verbesserungsbedürftige) Facharztweiterbildung zu verweisen klingt nach dem altbekannten Schwarzer-Peter-Spiel, ohne wirklichem Interesse an einer besseren Versorgungslandschaft. Auch der Verweis auf die Zwangs-Primärarztsysteme bleibt schlechte kollektivistische Propaganda ohne Potenzial für echte Verbesserung, wie die Tendenz weg von diesen Systemen in UK und anderswo zeigt. Diese dienen ausschließlich Sparbestrebungen der Kassen und befriedigen den (utopischen) Traum von Gleichheit der Sozialisten.

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