Bundesverfassungsgericht
Numerus clausus auf dem Seziertisch der Richter
Das Bundesverfassungsgericht hat das System der Studienplatzvergabe in Humanmedizin in mündlicher Verhandlung unter die Lupe genommen. Die hartnäckigen Fragen der Richter ließen die Ungereimtheiten des Verfahrens deutlich werden.
Veröffentlicht:KARLSRUHE. Das Bundesverfassungsgericht hat am späten Mittwochnachmittag seine Verhandlung zum Numerus clausus (NC) im Medizinstudium abgeschlossen. Deutlicher als am Vormittag zeigten die Karlsruher Richter dabei die Punkte auf, an denen sie Schwächen im derzeitigen System sehen und wo sie daher Nachbesserungen verlangen könnten.
Den Termin für die Verkündung ihres Urteils wollen sie aber erst nach Abschluss ihrer Beratungen bekanntgeben. Dies könnte aber noch in diesem Jahr sein.
Hintergrund und Maßstab der Verhandlung waren zwei NC-Urteile aus den 70er Jahren. Darin hatte sich das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass die Universitäten sämtliche Kapazitäten ausschöpfen. Die Auswahl müsse "nach sachgerechten Kriterien" erfolgen und jedem hochschulreifen Bewerber die Chance auf einen Studienplatz eröffnen.
Obergrenze für die Wartezeit?
Dem soll derzeit die Quote von 20 Prozent der Studienplätze gerecht werden, die nicht über die Note, sondern über die Wartezeit vergeben werden. Problem ist hier allerdings die lange Wartezeit von derzeit 15 Semestern. So könnten die Karlsruher Richter eine Obergrenze für die Wartezeit einziehen, beispielsweise in der Größenordnung der Regelstudienzeit von zwölf Semestern.
Den Anspruch auf eine Teilhabe-Chance für alle leitete das Bundesverfassungsgericht vom Grundrecht der Berufsfreiheit und vom Sozialstaatsprinzip ab. Die Länder setzten dem die begrenzten Haushaltsmittel und die Freiheit von Forschung und Lehre entgegen. Damit rechtfertigten sie auch das unterschiedliche Vorgehen der einzelnen Universitäten. Nach Überzeugung der Länder entspricht es zudem der föderalen Struktur Deutschlandes, dass jede Universität eigene Schwerpunkte bei der Auswahl setzt.
Studierende und auch Ärzte-Präsident Professor Frank Ulrich Montgomery sprachen sich dagegen zumindest für bundesweit einheitliche Testverfahren aus. Ob das Bundesverfassungsgericht dem nachkommen wird, blieb offen.
Doch dass es das schier endlose "Weizenfeld der Auswahlkriterien" hinnehmen wird, scheint nach solch süffisanten Formulierungen und hartnäckigen Fragen unwahrscheinlich. Einige Universitäten ziehen nur die einfach zu verarbeitende Abiturnote heran, andere – etwa das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf – verwenden aufwendige Verfahren mit modernen Gesprächsprüfungen.
Klarere Vorgaben der Länder nötig
Dem Auswahlverfahren der Hochschulen (AdH) kommt jedenfalls eine besondere Bedeutung zu, weil – nach Abzug bestimmter Vorabquoten – 60 Prozent der Medizin-Studienplätze direkt von den Hochschulen vergeben werden. Hier könnten die Karlsruher Richter klarere Vorgaben der Länder – einzeln oder im gemeinsamen Staatsvertrag – verlangen, welche Auswahlkriterien verbindlich und welche weiteren zulässig sind.
Teile der Richterbank zeigten zudem wenig Verständnis dafür, dass die unterschiedlichen Abiturdurchschnitte in den Ländern zwar bei der Vergabe nach Abiturdurchschnitt – der "Bestenquote" von 20 Prozent der Plätze – berücksichtigt werden, nicht aber bei der Vergabe durch die Universitäten.
Und auch die "Bestenquote" führt zu Problemen, weil sie in Verbindung mit den Ortswünschen abgearbeitet wird. Dadurch kann es passieren, dass Bewerber zwar zu den 20 Prozent Besten gehören, aber trotzdem über die Quote keinen Studienplatz bekommen. Ein guter Teil der Richterbank hielt dies offenkundig für absurd – und für recht einfach behebbar.
Aus Sicht des Marburger Bunds wird aber auch eine Reform des Auswahlverfahrens das Ungleichgewicht zwischen Bewerberzahl und Studienplätzen nicht mindern können. Der MB forderte am Donnerstag den künftigen Bundestag aus, den Masterplan Medizinstudium zu ergänzen. Nötig sei eine gemeinsame Initiative von Bund und Ländern, um die Studienplätze in Humanmedizin um mindestens zehn Prozent zu erhöhen. Denn in den vergangenen 25 Jahren seien mehrere Tausend Medizinstudienplätze abgebaut worden – trotz des steigenden Bedarfs von Ärzten in der kurativen Versorgung, so der MB.