Europarecht
Rufbereitschaft kann Arbeitszeit sein
Je nach dem, wie stark ein Arbeitnehmer während einer Rufbereitschaft in seiner privaten Gestaltungsfreiheit eingeschränkt ist, handelt es sich um Arbeitszeit. Vollen Lohn beanspruchen, kann er deswegen aber nicht automatisch.
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Auf Abruf bereit? Der EuGH hatte zu klären, ob auch eine Bereitschaft an einem vom Arbeitnehmer frei zu wählenden Ort der Arbeitszeit zuzurechnen ist.
© Ron Chapple Stock / Ron Chapple
Luxemburg. Bereitschaftsdienste am Arbeitsplatz gelten als Arbeitszeit. Nach einem aktuellen Urteil, mit dem der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Darmstadt beantwortet, kann Gleiches aber auch für Rufbereitschaften ohne festen Aufenthaltsort gelten: Nämlich immer dann, wenn der Arbeitnehmer durch anderweitige Vorgaben in seiner Möglichkeit, diese Zeit frei zu gestalten, erheblich beeinträchtigt ist. Ein Anspruch auf volle Vergütung folge daraus aber nicht.
Anlass für das Luxemburger Urteil ist die Klage eines Feuerwehrmanns der Stadt Offenbach. Während seiner Rufbereitschaften musste er sich zwar nicht an einem bestimmten Ort aufhalten, aber erreichbar und in der Lage sein, im Alarmfall binnen 20 Minuten in Einsatzkleidung und mit dem ihm zur Verfügung gestellten Einsatzfahrzeug die Stadtgrenze zu erreichen.
Der Feuerwehrmann war der Ansicht, dass er bei diesen Vorgaben keine Möglichkeit habe, die Zeit der Rufbereitschaft nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Es handele sich daher um Arbeitszeit, die entsprechend zu vergüten sei.
Nach dem Luxemburger Urteil kann hier Arbeitszeit vorliegen, dies muss das Verwaltungsgericht Darmstadt nun noch im Detail klären. Dabei verwiesen die Luxemburger Richter zunächst darauf, dass eine Rufbereitschaft immer nur entweder als Arbeitszeit oder als Ruhezeit eingestuft werden kann; beides schließe sich gegenseitig aus. Zudem gelte nach bisheriger Rechtsprechung eine Bereitschaft an dem vom Arbeitgeber vorgegebenen Arbeitsplatz automatisch als Arbeitszeit.
EuGH bestätigt Argumentation des Klägers
Neu ist an dem Urteil, dass auch eine zu Hause oder selbst gewählt anderswo verbrachte Rufbereitschaft derart eng an einen Bereitschaftsdienst mit vorgegebenem Aufenthaltsort heranrücken kann, dass es sich ebenfalls um Arbeitszeit handelt. Das sei der Fall, „wenn die dem Arbeitnehmer während dieser Zeiten auferlegten Einschränkungen seine Möglichkeit, sich seinen eigenen Interessen zu widmen, ganz erheblich beeinträchtigen“. Insoweit folgt der EuGH der Linie des Klägers.
Zur Vergütung stellte der EuGH klar, dass nur nach einem Notruf reguläre Arbeit mit regulärer Vergütung folgt. Darüber hinaus mache die EU-Arbeitszeitrichtlinie keine Vorgaben zur Vergütung von Bereitschaftsdiensten. Konsequenz: EU-rechtlich ergibt sich aus einer Rufbereitschaft auch dann kein Anspruch auf volle reguläre Vergütung, wenn sie als Arbeitszeit einzustufen ist.
Soweit eine Rufbereitschaft als Ruhezeit gilt, reicht eine pauschale Entschädigung dafür aus. Maßgeblich sind das nationale Recht und die Tarifverträge.
Die zulässige höchste Arbeitszeit ist nach EU-Recht auf in der Regel 48 Wochenstunden beschränkt. Für Klinikärzte gibt es Ausnahmen bis zu 60 Stunden. In seinem Urteil betonte der EuGH aber, dass auch als Ruhezeit geltende Bereitschaftsdienste nicht beliebig ausgedehnt werden dürfen. Insbesondere gehöre es auch dann zu den Pflichten des Arbeitgebers, Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer nicht zu gefährden.
Europäischer Gerichtshof, Az.: C-580/19