Atemschutzmasken statt Brautkleider, Alkohol statt Schnapps
So kreativ sind Unternehmen in der Corona-Not
Während der BÄK-Präsident das Engagement vieler fachfremder Unternehmen zur Herstellung von Medizinprodukten lobt, mahnen Medizinproduktehersteller, die Qualitätsanforderungen nicht außer acht zu lassen.
Veröffentlicht:Berlin. Der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, hat bei der Beschaffung von Schutzausrüstungen für die Behandlung von Patienten mit COVID-19 kreative Lösungen angemahnt. Dabei setze man auf das Engagement von Wirtschaftsunternehmen aus den verschiedensten Branchen, sagte Reinhardt am Mittwoch. „Ob Automobilzulieferer oder Textilunternehmen – alle sind aufgerufen, wenn irgend möglich ihre Fertigung umzustellen und in die Produktion von Schutzausrüstung einzusteigen“, appellierte der BÄK-Präsident an die Unternehmen. Gleiches gelte für die Fertigung von Beatmungsgeräten.
Unterdessen haben viele Unternehmen Reinhardts Appell bereits beherzigt. So stellt der Autozulieferer ZF in Friedrichshafen am Bodensee seit Anfang März Atemschutzmasken in China her. Dazu habe das Unternehmen extra eine Maschine angeschafft, die täglich rund 90.000 bis 100.000 Stück herstellt, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilt. ZF ist auf die Masken für seine rund 14.000 Mitarbeiter in den etwa 40 Werken in China angewiesen. Das Tragen eines Mundschutzes bei der Arbeit ist dort nämlich seit Ausbruch des Erregers Sars-CoV-2 vorgeschrieben. Ohne einen ausreichenden Vorrat hätte die Produktion eingestellt werden müssen. Mit der produzierten Stückzahl soll es möglich sein, dass die Arbeiter ihre Masken spätestens alle vier Stunden wechseln.
Findige Autobranche
Auch der bayerische Zulieferer Zettl Automotive produziert Atemschutzmasken, wenn auch im Auftrag der Landesregierung. Die Firma näht eigentlich Sitzbezüge. Für die Masken wird Zettl von dem Vlies-Hersteller Sandler mit Material für eine Million Schutzmasken beliefert, wie das bayerische Wirtschaftsministerium mitteilt. „Die fertigen Masken werden vom THW an Kliniken, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen verteilt“, sagt eine Sprecherin.
Der Autozulieferer Prevent bietet der Bundesregierung und dem Land Nordrhein-Westfalen die kurzfristige Lieferung von Schutzbekleidung für Ärzte und Helfer an. „Konkret geht es um Kittel, Schutzmasken, Kopfbedeckungen und Schutzanzüge“, teilt ein Unternehmenssprecher mit. Prevent stellt normalerweise unter anderem Sitzbezüge für Autos her. Volkswagen will seine Produktion ebenfalls umstellen und so Hersteller von Medizintechnik wie Beatmungsgeräten mit dem Bau und der Zulieferung eigener Teile unterstützen. Es gehe um Komponenten, die sich mit 3D-Druckern aus der Kunststoffteile- oder Prototypenfertigung herstellen ließen, sagt eine Sprecherin.
Der italienische Autokonzern FCA plant eine seiner Fabriken zur Herstellung von Atemschutzmasken umzubauen. Fiat Chrysler Automobiles (FCA) will die Masken anschließend an medizinisches Personal spenden. Ziel sei es, mehr als eine Million Gesichtsmasken pro Monat zu produzieren. Nach Unternehmensangaben sollen die Schutzmasken in einem asiatischen Werk hergestellt werden.
Aus der Not eine Tugend gemacht
Der schwäbische Bekleidungshersteller Trigema hat seine Produktion zumindest teilweise auf Mund- und Nasenschutz-Masken umgestellt. Dem Unternehmen lägen schon Aufträge für mehr als 200.000 Stück etwa von Kliniken, Pflegeheimen, Behörden und anderen vor. Um die Nachfrage befriedigen zu können, werde auch samstags gearbeitet. Mit der Produktion von Schutzausrüstung könne die Umstellung auf Kurzarbeit verhindert werden. Wegen der Corona-Krise sei rund 50 Prozent des Absatzes weggebrochen. „Da war ich nicht ganz undankbar, dass ich vorher großspurig gesagt habe: Ich kann das nähen“, sagt Unternehmenschef Wolfgang Grupp.
Auch der Hemdenhersteller Eterna aus dem niederbayerischen Passau hat angesichts der Corona-Krise mit der Produktion von Gesichtsmasken begonnen. Im slowakischen Eterna-Werk sei die Produktion auf Schutzmasken umgestellt worden, wie ein Sprecher mitteilt. Künftig sollen bis zu 25.000 Masken pro Tag gefertigt werden. Auftraggeber ist die slowakische Regierung.
Der Berliner Brautmodenhersteller Bianco Evento kündigt ebenfalls an, in Zukunft Schutzkleidung und Mundschutzmasken verkaufen zu wollen. Die Produktion sei bereits komplett umgestellt. Pro Woche sollen rund 35.000 Masken und 5000 Kittel geliefert werden. „Bianco Evento möchte fortan alle Möglichkeiten der hauseigenen Textil-Produktionsstätte nutzen, um Kliniken, Pflegeheime, Behörden und weitere medizinische Bereiche zu unterstützen“, heißt es.
Alkoholhersteller helfen bei Desinfektionsmittelproduktion aus
Durch die Ausbreitung des Coronavirus werden auch Desinfektionsmittel knapp. Alkoholhersteller wollen deshalb aushelfen: Der Spirituosenhersteller Jägermeister aus Wolfenbüttel etwa stellt dem Klinikum Braunschweig 50.000 Liter Alkohol zur Herstellung des Mittels zur Verfügung, wie die Klinik mitteilt. Der Getränkeproduzent Berentzen prüft ebenfalls mögliche Lieferungen. Man denke darüber nach, Hersteller von Desinfektionsmitteln zu unterstützen oder selbst welches herzustellen, teilt die Firma mit.
Das Kölner Unternehmen Klosterfrau Healthcare (früher Klosterfrau Melissengeist) will 100.000 Liter Desinfektionsmittel an das Land Nordrhein-Westfalen spenden. Das sagte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet in einer Sondersitzung des Landtags. Schon kommende Woche wolle das Unternehmen 150.000 von insgesamt 500.000 Flaschen Handdesinfektionsmittel bereitstellen.
MedTech fordert enge Abstimmung mit Branchenunternehmen
Die derzeit zahlreichen Angebote vieler Unternehmen auch aus anderen Branchen, Hersteller kritischer Medizinprodukte mit Personal oder gar Produkten aus 3D-Druckern zu unterstützen, sieht der Deutsche Industrieverband SPECTARIS als „großartige Geste der Solidarität“ an, wie es in einer Verbandsmitteilung heißt.
Dr. Martin Leonhard, Vorsitzender der Medizintechnik bei SPECTARIS betont dabei: „Eine große Herausforderung allerdings ist das schnelle Verständnis der besonderen Anforderungen der Medizintechnik. Diese Kenntnisse können klassische Medizintechnik-Unternehmen grundsätzlich gut vermitteln. Daher empfehlen wir dringend, die Hilfsangebote eng mit der breit aufgestellten deutschen Medizintechnik-Industrie abzustimmen.“
Zum Wohle des Patienten sei es außerdem wichtig, die einschlägigen Qualitäts- und Sicherheitsstandards einzuhalten, mit denen die Produkte wie Beatmungsgeräte inklusive einzelner Komponenten oder Schutzausrüstungen in den Markt gebracht werden. „Am Intensivbett des Patienten darf die gute Absicht keinesfalls nach hinten losgehen“, mahnt Leonhard. Sein Verband stehe dabei als Brückenbauer zwischen Medizintechnikindustrie und anderen Industriebereichen bereit. (dpa/chb/maw)