Diskussion um Medizinprodukte

Wo der Hase im Pfeffer liegt

Um fehlerhafte Medizinprodukte ist eine hitzige Debatte entbrannt – ausgelöst durch die "Implant Files". Blickt man genauer hin, so zeigt sich: Die investigativen Journalisten bewegen sich zwischen Panikmache und Aufklärung.

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Sichere Endoprothese? Mit der novellierten Medizinprodukteverordnung zielt die EU auf Transparenz und Patientensicherheit ab.

Sichere Endoprothese? Mit der novellierten Medizinprodukteverordnung zielt die EU auf Transparenz und Patientensicherheit ab.

© julianemartens / Fotolia

Ein Leitartikel von Matthias Wallenfels

NEU-ISENBURG. „Panama Papers“, „Paradise Papers“ und nun die „Implant Files“ – mit geballter journalistischer Investigativ-Inbrunst nehmen sich Autoren der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) zusammen mit WDR und NDR sowie dem internationalen Konsortium für Investigative Journalisten (ICIJ) und weiteren Partnern offensichtlichen Machenschaften und Missständen rund um den Globus an – legen die Beteiligten auf den Seziertisch der Öffentlichkeit.

Mögen die beiden Finanzrecherchen zu den „Panama Papers“ und den „Paradise Papers“ noch fundiert gewesen sein, so lässt der Versuch der edlen Ritter der Schreibfeder, die Implantatversorgung zumindest in Bezug auf Deutschland als katastrophal und von himmelschreienden Missständen geprägt an den Pranger zu stellen, Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Unterfangens.

Im vergangenen Jahr seien in Deutschland 14.034 Fälle gemeldet worden, bei denen es zu Verletzungen, Todesfällen oder anderen Problemen gekommen sei, die im Zusammenhang mit Medizinprodukten stehen könnten, heißt es im Recherche-Papier. Steht hier Panikmache – und damit Auflage – oder Aufklärung im Vordergrund?

Steilvorlage für Minister und Kommission

Im Prinzip ist diese Frage zunächst nachrangig, da der mediale Vorstoß seine – wohl von den Autoren erhoffte – Wirkung längst gezeigt hat. Umgehend sahen sich die gesundheitspolitisch relevanten Akteure berufen, die mediale Steilvorlage aufzunehmen – und Defizite bei der Implantatversorgung zu konzedieren.

So ließ Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der sich um die Nachfolge Angela Merkels an der Parteispitze bewirbt, in der „Rheinischen Post“ verlauten, er wolle angesichts von Problemen mit Implantaten für mehr Transparenz bei Medizinprodukten sorgen. Das Thema könnte nun auch auf die letzten Regionalkonferenzen der CDU auf dem Wege zu einem neuen Parteichef hilfreich sein.

„Wir bauen eine industrieunabhängige Stelle auf, bei der alle verbauten Implantate gemeldet werden müssen“, sagte Spahn.

Da ist es schon fast nachrangig, dass auch die EU-Kommission die EU-Staaten, Hersteller und Ärzte auffordert, die strengeren Qualitäts- und Sicherheitsstandards anzuwenden, die im Mai 2020 mit Inkrafttreten der im Mai 2017 verabschiedeten, novellierten EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) greifen.

Und genau hier liegt auch der Hase im Pfeffer: Viele der vom oben genannten Recherchenetzwerk angeprangerten Missstände können gegenwärtig gar nicht behoben werden, da der Rechtsrahmen dafür fehlt.

Schließlich wurde die MDR-Novelle zum Großteil als Reaktion der EU auf den Skandal um mit minderwertigem Industriesilikon gefüllte Brustimplantate des inzwischen insolventen französischen Anbieters Poly Implant Prothèse (PIP) angestoßen.

Grünen kritisieren MDR

Von dieser Gemengelage unbeeindruckt zeigt sich Kordula Schulz-Asche, alten- und pflegepolitische Sprecherin der Grünen. „Die Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass die Implantate ihnen nicht gefährlich werden, sondern dabei helfen, wieder ein unbeschwertes Leben führen zu können“, postulierte sie am Montag mit Verweis auf die Berichterstattung.

Die MDR gehe hier zwar erste Schritte, bleibe aber trotzdem weit hinter den Anforderungen zurück. „Auch die Bundesregierung hat lange dafür gesorgt, dass wirksamere Regelungen auf europäischer Ebene hintertrieben wurden“, vergibt sie den Schwarzen Peter.

Unverständlich ist indes ihr Hinweis, mit den Arzneimitteln gebe es ein Beispiel, wie es in puncto Zulassung besser laufen könnte: „Dort gibt es eine staatliche Zulassung und Verantwortung und kein undurchsichtiges System privater Akteure, das sich ‚Benannte Stellen‘ nennt.“

Offensichtlich ist Schulz-Asche nicht bekannt, dass die Benannten Stellen Staatsaufgaben übernehmen – und sich dazu nun rezertifizieren lassen müssen.

Sie werden künftig im Rahmen der MDR-Novellierung die wesentlich höheren Anforderungen im Zulassungsverfahren eines Medizinproduktes gegenüber dem antragstellenden Unternehmen durchsetzen müssen.

Wichtige Aspekte in der Diskussion außen vor

Legen die gesundheitspolitischen Akteure ihren Fokus auf Register und strengere regulatorische Anforderungen, so vermeiden sie, eine andere Wurzel des Übels in der Implantatversorgung anzupacken – die Vergütungssystematik, die aus Sicht des Berufsverbandes der Orthopäden und Unfallchirurgen (BVOU) den Trend zum Billig-Implantat beflügelt, um als Klinik wirtschaftlich versorgen zu können.

Wie BVOU-Schatzmeister Dr. Helmut Weinhart im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“ hervorhebt, könne der teils bestehenden Versorgungsmisere wirksam entgegengetreten werden – „und zwar mit der Herausnahme der Implantate aus den DRG“. Dann könnten Kliniken höherwertige Implantate einsetzen – und im Qualitätswettbewerb punkten.

Es bleibt zu hoffen, dass in der Debatte zu mehr Sachlichkeit statt gesundheitspolitischer Agitation gefunden wird, will man Defizite in der Versorgung langfristig und effektiv bekämpfen.

Das ist jedoch fraglich, denn die immer wieder aufflammenden, medial getriebenen Diskussionen um Homöopathie oder auch Individuelle Gesundheitsleistungen zeigen exemplarisch, dass der politische Steuerungswille in dem Maße nachlässt, wie die Schlagzeilen fehlen – keine gesunde Situation!

Lesen Sie dazu auch: "Implant Files" über fehlerhafte Medizinprodukte: MedTech und Kliniken gehen in Offensive „Implant Files“: Immer mehr Verletzte und Tote durch Medizinprodukte?

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