Meinungsverschiedenheit unter Ärzten

Absetzen von Herzmedikamenten bei begrenzter Lebenserwartung?

Ob die Herz-Kreislauf-Medikation reduziert werden soll, wenn andere lebensbegrenzende Erkrankungen hinzukommen, wird von Ärzten je nach Fachrichtung unterschiedlich beurteilt.

Von Dr. Beate Schumacher Veröffentlicht:
Mit zunehmendem Alter des Patienten kann das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer kardiovaskulären Medikation ungünstiger werden.

Mit zunehmendem Alter des Patienten kann das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer kardiovaskulären Medikation ungünstiger werden.

© Steve Debenport / Getty Images / iStock

New York. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer kardiovaskulären Medikation kann mit fortschreitendem Alter der Patienten ungünstiger werden, insbesondere wenn eine andere schwere Erkrankung die Lebensspanne verkürzt. Ob Ärzte in einer solchen Situation in Betracht ziehen, eines oder mehrere dieser Medikamente aus dem Therapieplan herauszunehmen, scheint auch von ihrer Fachrichtung abzuhängen. Nach einer US-Studie sind Geriater am ehesten und Kardiologen am wenigsten dazu geneigt (J Am Ger Soc 2019; online 12. September).

In der Studie hatten 453 zufällig ausgewählte Ärzte der Fachrichtungen Geriatrie, Innere und Kardiologie Auskunft über das Deprescribing von Herz-Kreislauf-Medikamenten in ihrer Praxis gegeben. Danach hatten im letzten Monat in jeder Disziplin mehr als 80 Prozent der Ärzte einmal ein Absetzen in Betracht gezogen. Der durchgängig häufigste Grund dafür waren Nebenwirkungen.

Barrieren für Deprescribing

  • Die Sorge, Therapiepläne anderer Ärzte zu durchkreuzen und
  • Ablehnung durch die Patienten selbst

Von den Geriatern wurde oft auch eine begrenzte Lebenserwartung genannt (73 Prozent), bei Internisten und Kardiologen war das deutlich seltener der Fall (37 Prozent und 14 Prozent). Als Barrieren für das Deprescribing wurden übereinstimmend die Sorge, die Therapiepläne anderer Ärzte zu durchkreuzen, und die Ablehnung durch die Patienten angeführt.

Alle beurteilten gleiches Szenario

Weil davon auszugehen ist, dass die Ergebnisse zum Teil die unterschiedliche Patientenklientel der drei Arztgruppen widerspiegeln, wurden allen Ärzten außerdem dieselben hypothetischen Szenarien zur Beurteilung vorgelegt. Alle betrafen eine 79-Jährige mit mehreren chronischen Erkrankungen und vier kardiovaskulären Medikamenten.

Beim Auftreten potenzieller Nebenwirkungen wie Schwindel mit Stürzen hätten in jeder Disziplin über 90 Prozent mindestens ein Herz-Kreislauf-Mittel abgesetzt. Dagegen hätten beim Rezidiv eines metastasierten Mammakarzinoms deutlich mehr Geriater (84 Prozent) als Internisten (68 Prozent) oder Kardiologen (45 Prozent) ein Deprescribing in Betracht gezogen; auch bei der Aufnahme in ein Pflegeheim wegen eines Morbus Alzheimer hätten von den Kardiologen die wenigsten auf eines der Medikamente verzichten wollen (59 Prozent vs. 92 Prozent der Geriater und 81 Prozent der Internisten).

Für die Studienautoren um Dr. Parag Goyal (Weill Cornell Medicine, New York) sind die Ergebnisse ein Hinweis, dass „Ärzte noch mehr für die Bedeutung des Deprescribing sensibilisiert werden müssen, damit sich die Verordnungspraxis bei alten Menschen verbessert“.

Es gebe immer mehr Evidenz dafür, dass bei Medikamenten, die etwa aufgrund kurzer Lebenserwartung, körperlicher Einschränkungen oder geänderter Behandlungsziele mehr Schaden als Nutzen erwarten ließen, das gezielte Absetzen sicher sei, Polypharmazie reduziere und möglicherweise sogar die Mortalität senke.

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Grippeschutzimpfung: Jüngere Risikogruppen nicht vergessen

© Springer Medizin Verlag

Intens. Video-Podcast

Grippeschutzimpfung: Jüngere Risikogruppen nicht vergessen

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Herz mit aufgemalter Spritze neben Arm

© Ratana21 / shutterstock

Studie im Fokus

Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Prävention durch Influenzaimpfung?

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Mann mit Pflaster auf Oberarm gibt Daumen-hoch-Zeichen

© U_Photo / Shutterstock

Impflücken bei Chronikern

Senkung von Morbidität und Mortalität durch bessere Vorsorge

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

© Aleksandr | colourbox.de

Fatal verkannt

Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

© polkadot - stock.adobe.com

Vitamin-B12-Mangel

Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
B12-Mangel durch PPI & Metformin

© Pixel-Shot - stock.adobe.com

Achtung Vitamin-Falle

B12-Mangel durch PPI & Metformin

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Real-World-Analyse von US-Versorgungsdaten-- Bei Einsatz von Sacubitril/Valsartan ist die Gesamtsterblichkeit signifikant geringer als bei Einsatz von ACEi/ARB.

© Springer Medizin Verlag

ARNI in der Primärtherapie der HFrEF

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg
Abb. 1: Studie HF-OPT: Verbesserte LVEF unter medikamentöser Behandlung + Defibrillatorweste (Tag 0–90) und nachfolgender medikamentöser Behandlung (Tag 90–360)

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [9]

Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion

Optimale medikamentöse Therapie plus Defibrillatorweste schützt vor Plötzlichem Herztod

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: ZOLL CMS GmbH, Köln
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

S2k-Leitlinie

Husten – was tun, wenn er bleibt?

Lesetipps
Im Jahr 2023 wurden 10,8 Millionen Neuerkrankungen und 1,25 Millionen Todesfälle durch Tuberkulose registriert, mit stark heterogener globaler Verteilung.

© Dr_Microbe/stock.adobe.com

Vielversprechende Ergebnisse

Neue Strategie zur Tuberkulose-Früherkennung