Neue Modellrechnungen

Deutliche COVID-19-Ausbreitung auch im Sommer befürchtet

Aktuelle Prognosen sehen auf der Nordhalbkugel durch steigende Temperaturen keine große Hilfe gegen SARS-CoV-2. Immerhin könnten Afrika und die Tropen weitgehend verschont bleiben.

Thomas MüllerVon Thomas Müller Veröffentlicht:
Die derzeitigen Hotspots der COVID-19-Pandemie befinden sich auf der Nordhalbkugel. Doch wie wird sich das neue Coronavirus in den nächsten Monaten verhalten?

Die derzeitigen Hotspots der COVID-19-Pandemie befinden sich auf der Nordhalbkugel. Doch wie wird sich das neue Coronavirus in den nächsten Monaten verhalten?

© Anton Balazh/stock.adobe.com

Neu-Isenburg. Zwar wurden Infektionen praktisch in allen Ländern der Welt nachgewiesen, die derzeitigen Hotspots der COVID-19-Pandemie befinden sich aber nach wie vor in den gemäßigten Klimazonen der Nordhalbkugel.

Basierend auf dem Verlauf der Epidemie in den ersten drei Monaten dieses Jahres gehen einige Modellrechnungen davon aus, dass Temperatur und Feuchtigkeit für die Ausbreitung der Erkrankung zwar sehr wichtig sind, danach würde das Virus bis Ende Juni in Mittel- und Nordeuropa aber optimale Bedingungen vorfinden.

Darauf deuten zumindest auf dem Preprint-Server medRxiv veröffentlichte Simulationen von Biogeografie-Experten um Dr. Miguel Araújo vom naturwissenschaftlichen Nationalmuseum in Madrid und Dr. Babak Naimi von der Universität in Évora, Portugal (medRxiv 2020; online 7. April).

Temperaturoptimum bei 9°C

Die Forscher haben sich zunächst von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore gesammelte Fallzahlen zu COVID-19 aus den ersten drei Monaten dieses Jahres angeschaut und berechnet, wie schnell die Zahlen wo zunahmen. Dabei versuchten sie, nur lokale Infektionsketten zu berücksichtigen und importierte Fälle auszuschließen.

Schließlich analysierten sie Klimadaten in den betroffenen Regionen und geografische Faktoren. Damit fütterten sie diverse mathematische Modelle und schauten, welche die gegenwärtige Ausbreitung am besten beschreiben. Diese Modelle sprechen für einen stärkeren klimatischen als geografischen Einfluss. So wurde das Virus inzwischen zwar in der ganzen Welt verbreitet, eine ausgeprägte und anhaltende lokale Verbreitung gibt es bislang aber nur in einem sehr eingeschränkten Temperatur- und Feuchtigkeitsbereich.

Bislang bevorzugt das neue Coronavirus ein eher kaltes bis gemäßigtes und überwiegend trockenes Klima und meidet eher feuchtwarme und aride Klimazonen. Dem Modell zufolge liegt die optimale Monatsdurchschnittstemperatur bei 6°C bezogen auf die registrierten Erkrankungsfälle.

Werden geografische und zeitliche Verbreitung berücksichtigt, ergibt sich ein Wert von rund 9°C als Optimum bei einer Niederschlagsmenge von 72 ml über drei Monate hinweg. In Deutschland wird dieses Temperaturoptimum in den Monaten April, Mai und Oktober erreicht.

Bleibt Afrika verschont?

Die besten Bedingungen findet das Virus entsprechend im ersten Quartal des Jahres in Ostchina, Südeuropa, Nordafrika, dem Nahen Osten, dem Andenhochland sowie in den USA an der Ost- und Westküste und im Südosten. Die Tropen sind gar nicht, die kaltfeuchten Regionen von Mittel- bis Nordeuropa kaum betroffen. Diese Verteilung überrascht jedoch nicht – dafür wurde das Modell schließlich optimiert.

Interessant ist die Prognose für den Rest des Jahres: Danach gäbe es die besten klimatischen Bedingungen im zweiten Quartal in Mittel- und Nordeuropa, dem Westen Russlands, dem Norden der USA sowie in Kanada. Mäßig gute Bedingungen fände das Virus in Südafrika, dem Süden Australiens und Teilen von Argentinien, Chile sowie dem Süden Brasiliens.

Im dritten Quartal von Juli bis September liegt das berechnete Optimum vor allem in den kalt gemäßigten und polaren Zonen des Nordens, dem tibetischen Hochland, der Südküste Südafrikas, der Südküste Australiens und den südlichen Teilen Südamerikas. Für das vierte Quartal sehen die Forscher ein ähnliches Muster wie im ersten, wenngleich etwas schwächer ausgeprägt.

Träfe dieses Modell zu, würden Afrika, die Tropen und der Norden Südamerikas praktisch das ganze Jahr über keine guten klimatischen Bedingungen für die Übertragung liefern. Das lässt hoffen, dass die Länder dort von einer Katastrophe verschont bleiben.

Deutsche Forscher sind nicht ganz so optimistisch

Eine Expertengruppe um Dr. Michail Bariotakis vom Helmholtz Zentrum in München ist da nicht ganz so optimistisch (medRxiv 2020; online 9. April). Die Forscher errechnen zwar zunächst ein ähnliches Verteilungsmuster über das Frühjahr und den Sommer wie Araújo und Naimi, sehen zugleich aber ein hohes Verbreitungsrisiko in Südostasien.

Von hier aus könnte sich das Virus, ähnlich wie Influenza, saisonal immer wieder in gemäßigte Klimazonen ausbreiten. Immerhin bliebe auch nach ihrer Prognose Afrika weitgehend verschont. Das Modell wird immer wieder mit aktuellen Daten gefüttert und aktualisiert.

Kein Hinweis auf geringeres Transmissionsrisiko im Sommer

Eine Auswertung von frühen Epidemiedaten kommt dagegen zu dem Schluss, dass Temperatur, Feuchtigkeit und UV-Strahlung bei der Ausbreitung des Virus in China überhaupt keine Bedeutung hatten (Eur Respir J 2020; online 8. April). Forscher um Dr. Ye Yao von der Universität in Schanghai haben sich Wetter- und Klimadaten von 224 Städten in China mit mehr als zehn Erkrankten angeschaut und die Basisreproduktionszahl R0 für die jeweiligen Orte berechnet.

Sie fanden keinerlei Zusammenhang zwischen Ausbreitungsgeschwindigkeit und Temperatur, UV-Strahlung oder Luftfeuchtigkeit. Allerdings stammen die allermeisten Daten aus dem damaligen Epizentrum der Epidemie, der Provinz Hubei, die sich noch komplett im Winter befand. Vergleichsdaten aus anderen Klimazonen oder Jahreszeiten fehlen folglich.

Alle drei Berechnungen ergeben jedoch keine Hinweise auf ein stark reduziertes Transmissionsrisiko in den Sommermonaten in Mitteleuropa. Den Prognosen von Araújo und Naimi zufolge könnte das Virus in Deutschland in den kommenden Monaten sogar noch bessere klimatische Bedingungen als im Winter vorfinden, allenfalls ein sehr heißer Sommer würde das Übertragungsrisiko deutlich schwächen.

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