Wirksamkeit von Grippe-Impfstoffen
EMA zieht die Zügel an
Die jetzigen Regelungen, um die Wirksamkeit von Grippe-Impfstoffen zu untersuchen, sind der europäischen Arzneimittelbehörde EMA zu lax: Ab kommendem Jahr sollen EU-weit strengere Vorgaben gelten. Sogar bereits zugelassene Vakzine kommen auf den Prüfstand.
Veröffentlicht:ERFURT. Das ist ein globales Novum: In einem EU-weit geltenden Leitfaden werden Influenzaimpfstoff-Herstellern klare Anweisungen gegeben, wie ihre Produkte zu prüfen sind, und zwar zum Zeitpunkt der Zulassung sowie zur weiteren Überwachung der zugelassenen Impfstoffe.
Dies gibt Institutionen wie der Ständigen Impfkommission (STIKO) jene Informationen, auf deren Grundlage sie Empfehlungen herausgeben können, etwa dazu, welche Impfstoffklassen in welchen Alterskategorien am besten geeignet sind. "All das sind Dinge, die bisher unzureichend geregelt waren", sagte Privatdozent Michael Pfleiderer vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen beim Influenza-Kongress in Erfurt.
Auslöser für die Formulierung eines solchen Anforderungskatalogs waren die Erfahrungen während der Influenzapandemie 2009/2010. "Zu dieser Zeit waren sehr viele neue Impfstoffe entwickelt worden, vor allem die Antigen-reduzierten adjuvantierten Impfstoffe", erklärte Pfleiderer.
Im Vergleich der verschiedenen Impfstoffe sei ein sehr unterschiedliches Wirksamkeits- und Reagibilitätsprofil festzustellen gewesen. Dieses Wissen, etwa um altersspezifische Wirkungen der Impfstoffe, ist nun in den Leitfaden eingeflossen.
Äußerst anspruchsvolle Regulierung
"Die wissenschaftliche und regulatorische Betreuung von Influenzaimpfstoffen gehört mit zu den komplexesten Vorgängen der Arzneimittelregulierung", erklärte Pfleiderer. Er ist Leiter des WHO-Kollaborationszentrum für Impfstoffe am PEI und Vorsitzender des für Impfungen zuständigen Ausschusses bei der EMA (European Medicines Agency).
Die Regulierung ist zum einen komplex, weil sich die Zusammensetzung der Impfstoffantigene zweimal im Jahr ändern kann - für die Nord- und für die Südhalbkugel; die Fristen für die Erfüllung von wissenschaftlichen Vorgaben für die saisonalen Impfstoffe sind damit sehr kurz. Komplex zum anderen aber auch, weil es keinen Impfstoff mit so vielen verschiedenen Impfstoffklassen gibt.
Das etwa 100 Seiten starke Werk soll für alle epidemiologischen Szenarien und alle Influenzaimpfstoffe gelten, also für saisonale, pandemische wie präpandemische, für lebend attenuierte, inaktivierte adjuvantierte oder nicht adjuvantierte Spalt-, Untereinheiten- und Ganzvirus- sowie für zoonotische Impfstoffe, ob für neue Antigene, rekombinante Virusantigene, DNA- oder RNA-Impfstoffe.
Definiert werden die Qualitätsanforderungen für die Herstellung, die präklinischen und klinischen Untersuchungen sowie regulatorische und prozedurale Vorgaben. Daraus werde sich eine im Vergleich zu früher bessere Bewertungsgrundlage für bereits zugelassene und für neue Influenzaimpfstoffe ergeben, sagte Pfleiderer.
Soll heißen: Auch "alte" Produkte kommen auf den Prüfstand. Die Endfassung des Leitfadens erfolgt Ende 2015, ab Mitte 2016 soll er umgesetzt werden. Er ist nach Angaben Pfleiderers unter anderem mit der WHO und mit den Impfstoffherstellern abgestimmt worden, um zu verhindern, dass Vorgaben entwickelt werden, die letztlich nicht realisiert werden können.
Interessantes Detail: Kanada hat angekündigt, keine eigenen Vorgaben in Bezug auf Influenzaimpfstoffe zu entwickeln, sondern will auf den EU-Leitfaden verweisen.
Pflicht zu Wirksamkeitsstudien bei Kleinkindern
Was bedeutet das nun konkret? Wurden bislang vor allem traditionelle Influenzaimpfstoffe nur anhand serologischer Untersuchungen getestet, ändert sich das jetzt. So korreliert der Hämagglutinations-Inhibitionstiter (HI) nur eingeschränkt mit der tatsächlichen Schutzwirkung.
Das Niveau der Validierungsanforderungen in Bezug auf Protektionskorrelate sei deutlich erhöht worden, betonte Pfleiderer in Erfurt. Für die Anwendung bei Säuglingen und Kleinkindern im Alter zwischen 6 und 36 Monaten werden grundsätzlich Wirksamkeitsstudien verlangt.
Auch die Zulassungsstudien für die verschiedenen Alters- und Risikogruppen müssen künftig aufwändiger als bislang gestaltet werden. Dafür sind in Bezug auf den jährlichen Wechsel der Impfstoffzusammensetzung keine Immunogenitätsstudien mehr erforderlich, da sie keine Aussage über die klinische Schutzwirkung erlauben.
Ersetzt wird dies durch die kontinuierliche Überwachung der Verträglichkeit und Effektivität der zugelassenen Impfstoffe.