Pflegeheime
Isolierung von an COVID-19 erkrankten Heimbewohnern genügt nicht
Werden in Pflegeheimen nur Erkrankte mit SARS-CoV-2 isoliert, nützt das wenig: Die Verbreitung erfolgt dann weiterhin durch prä- und asymptomatische Infizierte. Eine zusätzliche Erkenntnis: Fast alle älteren Infizierten entwickeln früher oder später Symptome.
Veröffentlicht:Das Wichtigste in Kürze
- Frage: Weshalb breitet sich COVID-19 so rasch in Pflegeheimen aus?
- Antwort: Die Analyse eines Ausbruchs in einer US-Einrichtung deutet auf eine starke Ausbreitung durch präsymptomatische Bewohner sowie leicht erkrankte und asymptomatische Pflegekräfte.
- Bedeutung: Die Isolierung symptomatischer Bewohner genügt nicht.
- Einschränkung: Der Ausbruch ereignete sich zum Beginn der Epidemie, inzwischen ist die präsymptomatische Verbreitung gut bekannt.
Atlanta. Die rasche Verbreitung von COVID-19 in Pflegeheimen verblüfft immer wieder. Möglicherweise wurde zum Beginn der Epidemie der Fehler gemacht, sich primär auf die symptomatischen Erkrankten zu konzentrieren. Heute weiß man, dass viele Infizierte bereits zwei Tage vor dem Beginn der Erkrankung ansteckend sind und auch Personen mit komplett asymptomatischem Verlauf das Virus verbreiten können.
Die akribische Analyse eines COVID-19-Ausbruchs in einem US-Pflegeheim in der Nähe von Seattle legt den Schluss nahe, dass sich trotz erheblicher Schutzmaßnahmen das Virus fast ungehindert in solchen Einrichtungen ausbreiten kann – hauptsächlich durch asymptomatische Bewohner und Pflegekräfte.
Hohe Infektionssterblichkeit
Wie Ärzte und Wissenschaftler um Melissa Arons von der US-Gesundheitsbehörde CDC berichten, haben sich von 89 Bewohnern der Einrichtung innerhalb von knapp drei Wochen 57 mit dem Virus infiziert (64 Prozent), 15 der Infizierten starben (26 Prozent).
Im Abstand von einer Woche testeten die Behörden zweimal fast alle Bewohner auf SARS-CoV-2. Dabei hatte rund die Hälfte der Infizierten keine Symptome, bis auf drei Bewohner erkrankten nach wenigen Tagen aber alle positiv getesteten älteren Menschen an COVID-19.
Falls repräsentativ, bedeutet dies, dass letztlich 95 Prozent aller nachgewiesenen Infektionen in Pflegeheimen auch mit einer Erkrankung einhergehen und die Infektionssterblichkeit weitgehend der Fallsterblichkeit entspricht (N Engl J Med 2020; online 24. April).
Schutzmaßnahmen verschärft
Dass viele ältere Infizierte zunächst keine Symptome haben, erklärt zudem, weshalb sich COVID-19 in Pflegeheimen trotz Schutzmaßnahmen so rasch ausbreiten konnte. Alarmiert durch einen Ausbruch in einem benachbarten Heim Ende Februar, hatte sich die Einrichtung früh dazu entschlossen, sämtlicher Bewohner zweimal täglich auf Krankheitssymptome wie Fieber, Husten, Heiserkeit und Atemnot sowie andere Auffälligkeiten zu untersuchen. Auch das Personal musste sich zum Schichtbeginn einer Gesundheitskontrolle mit Fiebermessung unterziehen.
Am 1. März wurde eine Pflegekraft positiv auf das Virus getestet, die Symptome hatten bereits am 26. Februar begonnen. Am folgenden Tag entwickelte auch ein Bewohner in der Station der Pflegekraft Symptome, er wurde am 5. März positiv getestet.
Daraufhin wurden sämtliche Aktivitäten der Einrichtung abgesagt und Besuchern der Zutritt verwehrt, gleichzeitig initiierten lokale Gesundheitsbehörden zusammen mit der CDC eine Untersuchung und veranlassten verschärfte Schutzmaßnahmen.
So musste das Personal stets eine komplette Schutzausrüstung mit Overall, Schutzbrillen, Handschuhen und Masken tragen, wenn das Zimmer eines symptomatischen Bewohners betreten wurde, allerdings nicht bei den asymptomatischen.
Verdopplungszeit von 3,4 Tagen
Dies änderte sich nach einem PCR-Test unter den Bewohnern der Station am 8. März: Er bestätigte die Infektion bei sechs Personen, zwei davon waren asymptomatisch. Vom 9. März an galten dieselben Sicherheitsvorschriften dann für alle Bewohner – offenbar zu spät. Ein Test bei 76 Bewohnern aus allen vier Stationen der Einrichtung ergab am 13. März 23 positive Befunde.
Die Bewohner mit negativem Ergebnis wurden eine Woche später erneut getestet, dabei war die Hälfte von ihnen mit SARS-CoV-2 infiziert. Die Forscher um Arons berechneten daraus, dass sich die Zahl der Infizierten alle 3,4 Tage verdoppelt hatte – trotz der Schutzmaßnahmen deutlich schneller als zur gleichen Zeit außerhalb des Pflegeheims, dort waren es 5,5 Tage.
Von den 138 Beschäftigten der Einrichtung berichteten 55 (40 Prozent) über COVID-19-Symptome, davon wurden 51 getestet, bei 26 (19 Prozent) war der Test positiv. Ein weiterer Fehler dürfte gewesen sein, dass nur symptomatisches Personal bei den zwei PCR-Screenings untersucht wurde. Prä- und asymptomatische Angestellte konnten so das Virus weiter zwischen den Stationen verteilen.
Wie die Untersuchung ergab, arbeiteten zudem zwei Drittel der symptomatischen Angestellten trotz COVID-19-Symptomen einfach weiter – zumeist mit nur milden Beschwerden.
Zutritt nur für essenzielles Personal?
Die Forscher um Arons gehen aufgrund der raschen Isolierung symptomatischer Bewohner sowie der Gesundheitskontrollen beim Personal davon aus, dass asymptomatische Bewohner und Angestellte das Virus trotz der Sicherheitsmaßnahmen sehr effektiv weiterverbreitet hatten.
„Symptombasierte Kontrollmaßnahmen haben nicht ausgereicht, um die Übertragung zu verhindern, nachdem das Virus einmal eingeschleppt war“, stellen sie fest. Zudem sei es in der älteren Bevölkerung oft schwierig, Infektionssymptome zu erkennen und zu deuten. Von Influenzainfekten wisse man, dass diese oft mit wenigen oder atypischen Beschwerden verlaufen.
Um die Einschleppung von COVID-19 in Pflegeeinrichtungen zu verhindern, sollte nur das für die Pflege essenzielle Personal Zutritt haben, und dies auch nur mit Masken und regelmäßigen Gesundheitskontrollen, raten die CDC-Experten. Treten erste Erkrankungen auf, wird der generelle Gebrauch einer kompletten persönlichen Schutzausrüstung bei jeglichem Kontakt zwischen Personal und Bewohnern empfohlen.
Wie gut es sich umsetzen lässt, dass die Bewohner über Wochen nur noch Vermummte in Seuchenschutzausrüstung zu Gesicht bekommen, ist eine andere Frage.