Großprojekt
Merkel ruft zu Zusammenarbeit für Corona-Impfstoff auf
Für das Ende der Kontaktbeschränkungen in der Corona-Krise und den kompletten Neustart der Wirtschaft fehlt vor allem ein Impfstoff. Regierungen und Stiftungen sollen das Großprojekt gemeinsam voranbringen. Die Kanzlerin wirbt für die Finanzierung.
Veröffentlicht:Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel setzt für die Bewältigung der Corona-Krise auch auf mehr Tempo bei der Entwicklung eines Impfstoffes. In ihrer am Samstag veröffentlichen, wöchentlichen Videoansprache rief die CDU-Politikerin zu mehr internationaler Zusammenarbeit gegen die Pandemie auf. „Wir wissen, dass sie überall schwere Schäden auch unserem wirtschaftlichen, sozialen, gesellschaftlichen Leben zufügt. Deshalb müssen wir mit Hochdruck und großer Konzentration daran arbeiten, dieses Virus einzudämmen und dann auch zu besiegen, indem wir einen Impfstoff entwickeln“, sagte sie.
Auf einer Geberkonferenz am 4. Mai, zu der die EU-Kommission eingeladen hat, werde sich Deutschland mit einem „deutlichen finanziellen Beitrag beteiligen“. Es fehlten geschätzt acht Milliarden Euro für die Entwicklung eines Impfstoffes.
Im Vorfeld warntedie Entwicklungsorganisation ONE in ihrem neuen Kurzbericht „Impfstoff und Behandlung: Die Ausstiegsstrategie“ vor den Folgen, die eine zeitversetzte Einführung eines COVID-19-Impfstoffes in den unterschiedlichen Weltregionen hätte. Als einen wichtigen Baustein für den weltweiten Zugang zu einem Impfstoff fordert ONE daher in einer Mitteilung, dass Deutschland einem „Patentpool“ beitrete und andere Staaten dazu auffordern, dies auch zu tun, damit der künftige Impfstoff weltweit sofort einsetzbar sei.
Die wichtigsten Ergebnisse des Kurzberichts:
- Im Durchschnitt erhalten Entwicklungsländer erst sieben Jahre nach den Industrieländern Zugang zu Impfstoffen.
- Frühe Investitionen in die Erforschung von Impfstoffen und Behandlungsmethoden und ausreichende Finanzierung sind entscheidend.
- Der weltweite, zeitgleiche Zugang zu Impfstoffen muss gewährleistet sein. Sonst könnte das Virus selbst in Ländern, in denen es als „besiegt“ galt, wieder auftauchen.
Offener Brief der Grünen zur Impfstoff-Strategie
In einem offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek verweist auch die Faktion Bündnis 90/Die Grünen darauf, es brauche beim Thema Impfstoffe jetzt von öffentlicher Seite „ein klares Signal an europäische Hersteller, das für Verläslichkeit und Klarheit sorgt“.
In dem von der Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt sowie von Kordula Schulz-Asche, Mitglied im Gesundheitsausschuss und Kai Gehring, Sprecher für Forschung, Wissenschaft und Hochschule, unterzeichneten Brief wird zugleich die Sorge geäußert, dass noch nicht hinreichende Vorbereitungen getroffen wurden, um nach der Entwicklung und Prüfung eine COVID-19-Impfstoffs auch eine Produktion und bedarfsgerechte und faire Verteilung schnell auf den Weg zu bringen. Gefordert werden unter anderem eine Erhöhung der deutschen Beiträge für die globale Forschungsallianz zur Entwicklung von Impfstoffen auf mindestens 650 Millionen Euro und eine Gründung einer europäischen Koordinationsgruppe.
Pharmahersteller: Situation gleicht einem Ruderrennen
Der Präsident des Verbands der forschenden Pharmahersteller (vfa), Han Steutel, betonte, die Industrie sei „wissenschaftlich wie finanziell im Stande“, Impfstoffe und Medikamente zu entwickeln. In der derzeitigen Notsituation der Pandemie seien aber alle Kräfte zu bündeln, „damit es schneller geht als sonst“, sagte Steutel mit Blick auf die am Montag stattfindende internationale Konferenz „Coronavirus Global Response“ der Europäische Union.
Bei den Corona-Impfstoffen stehe die Branche vor einer „außerordentlichen Aufgabe“, sagte Steutel. Es müssten schon jetzt große Produktionskapazitäten aufgebaut werden, obwohl noch nicht klar sei, welche der vielen derzeit in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe letztendlich die Zulassung schafften. „Hier macht es Sinn, dass sich neben der Wirtschaft auch Stiftungen, Staaten und die EU an der Finanzierung beteiligen, um die nötigen Mittel jetzt zu mobilisieren.“
Die Herausforderung lasse sich mit einem Ruderrennen vergleichen, betonte Steutel. „Auch der Zweier kommt ins Ziel; sogar schnell. Aber der Achter ist schneller. Und jetzt brauchen wir den Achter.“
Industrie pocht auf Exit-Plan
Unterdessen wächst der Druck auf Bund und Länder, weite Teile des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland wieder hochzufahren. Wirtschaftsverbände trommeln angesichts des Konjunktureinbruchs massiv dafür. Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder hatten bei ihrer Schaltkonferenz am Donnerstag behutsam weitere Corona-Auflagen gelockert und größere Schritte für ihre nächste Beratung am kommenden Mittwoch angekündigt.
Der Industrieverband BDI pocht nun auf einen klaren Exit-Plan zu diesem Termin. „Unsere Unternehmen wollen und müssen wissen, in welchen Stufen das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben wieder anlaufen soll - und zwar nach dem Treffen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten am 6. Mai“, sagte BDI-Präsident Dieter Kempf den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Vielversprechend
mRNA – der schnellste Weg zum Corona-Impfstoff?
In Deutschland waren bis Samstagfrüh knapp 162.000 Infektionen mit dem Coronavirus registriert worden. Die Reproduktionszahl lag nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) mit Stand Freitag weiter bei 0,79. Das bedeutet, dass zehn Infizierte etwa sieben bis neun weitere Personen anstecken.
Sachsen-Anhalt lockert Kontaktbeschränkungen
Sachsen-Anhalt lockert unterdessen die seit sechs Wochen geltenden Kontaktbeschränkungen und wird damit zu einem Vorreiter. das Bundesland ist allerdings auch wenig betroffen. Von Montag an dürfen fünf Menschen zusammen unterwegs sein, auch wenn sie nicht in einem Haushalt leben, wie die Landesregierung beschloss.
Bisher war nur die Begleitung durch einen Menschen oder durch mehr Angehörige des eigenen Haushalts erlaubt. Zudem muss es in Sachsen-Anhalt künftig keinen triftigen Grund mehr geben, um das Haus zu verlassen. Von Montag an dürfen außerdem alle Einzelhandelsgeschäfte unabhängig von der Größe ihrer Verkaufsfläche wieder öffnen, sie müssen aber Auflagen einhalten. (run/hom/dpa)