Modellrechnung zum Coronavirus

Ohne Maßnahmen 3,8 Millionen schwere COVID-19-Fälle in Deutschland?

Würden sich 70 Prozent der Deutschen mit COVID-19 infizieren, müssten 3,8 Millionen Menschen in die Klinik. Das lässt sich aus einer Modellrechnung britischer Forscher ableiten. Zudem könnten rund 1,3% der Infizierten und 2,6% der Erkrankten an COVID-19 sterben.

Thomas MüllerVon Thomas Müller Veröffentlicht:
Deutsche Kliniken bereiten sich auf die Versorgung schwer erkrankter COVID-19-Patienten vor.

Deutsche Kliniken bereiten sich auf die Versorgung schwer erkrankter COVID-19-Patienten vor.

© Jens Büttner / dpa-Zentralbild

London. Die Fallsterblichkeit von COVID-19 zu berechnen ist naturgemäß schwierig, da nicht alle Erkrankten erfasst werden. Noch schwieriger ist es, die Infiziertensterblichkeit zu ermitteln, also die Zahl der Infizierten, die erkranken und sterben, da von einer hohen Zahl asymptomatischer Verläufe ausgegangen wird.

Es gibt jedoch einige Untersuchungen, die wertvolle Hinweise liefern, etwa COVID-19-Ausbrüche auf Kreuzfahrtschiffen, sowie eine Untersuchung von Reisenden aus Wuhan, die systematisch auf das neue Virus getestet wurden. Hier ist die Zahl der tatsächlich Infizierten bekannt. Solche Daten haben Epidemiologen um Dr. Robert Verity vom Imperial College in London zusammen mit Angaben zu über 70.000 COVID-19-Patienten aus China und 2000 Patienten aus anderen Ländern ausgewertet (Lancet Infect Dis 2020; online 30. März).

Die Analyse bestätigt eine hohe Mortalität und ein hohes Risiko für einen stationären Aufenthalt vor allem bei älteren Menschen. Die Gefahr für einen schweren Verlauf nimmt jedoch schon im Alter ab 50 Jahren deutlich zu.

Angaben zu COVID-19-Verläufen außerhalb von Hubei

Für die Berechnung der Fallsterblichkeit haben die Forscher im Wesentlichen Angaben zu COVID-19-Verläufen außerhalb der am stärksten betroffenen chinesischen Provinz Hubei verwendet. Sie gingen davon aus, dass dort Kliniken und Behörden mit der Situation weniger überfordert waren und mehr Kontaktpersonen von Infizierten auf das Virus untersucht wurden, um die Ausbreitung einzudämmen.

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Berücksichtigten sie solche Faktoren, reduzierte sich die für China dokumentierte Fallsterblichkeit von 3,7 Prozent auf knapp 1,4 Prozent. Für andere – zumeist europäische Länder – berechneten sie eine Fallsterblichkeit von 2,7 Prozent. Diese stimmt mit den China-Daten weitgehend überein, sofern die Altersverteilung in der Bevölkerung berücksichtigt wird.

So liegt die Fallsterblichkeit nach den China-Daten bei den unter 50-Jährigen deutlich unter 0,3 Prozent, vervierfacht sich bei den 50- bis 59-Jährigen auf knapp 1,3 Prozent, steigt in den nächsten beiden Dekaden auf 4,0 Prozent und 8,6 Prozent sowie auf 13,4 Prozent bei den über 80-Jährigen.

Erwartete Fallsterblichkeit für Deutschland: 2,6 Prozent

Anhand von sechs internationalen Flügen aus Wuhan, bei denen alle Passagiere getestet und unter Quarantäne gestellt wurden, kamen die Forscher auf eine Sterberate von 0,66 Prozent bezogen auf alle Infizierten. Die Rate ist halb so hoch wie die Fallsterblichkeit, was bedeuten würde, dass eine Infektion mit SARS-CoV-2 bei etwa der Hälfte der Betroffenen asymptomatisch verläuft.

Die Forscher um Verity berechneten anhand der China-Daten auch den Anteil von Infizierten, bei denen COVID-19 so schwer verläuft, dass sie hospitalisiert werden müssen. Dieser ist vor allem für die Planung von Krankenhauskapazitäten während der Epidemie relevant. Er beträgt bereits rund 1 Prozent bei Infizierten in der dritten Lebensdekade und steigt auf über 18 Prozent bei Menschen im Alter von mehr als 80 Jahren.

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Überträgt man diese Zahlen auf die Altersstruktur von Deutschland so wären in einem Worst-Case-Szenario ohne Gegenmaßnahmen und bei einer Infektionsrate von 70 Prozent über 3,8 Millionen Klinikeinweisungen aufgrund von COVID-19 zu erwarten – das entspräche rund 5 Prozent der Bevölkerung sowie einer Hospitalisierungsrate von 6,6 Prozent der Infizierten. 740.000 Menschen würden sterben, davon 660.000 im Alter ab 60 Jahren. Die Infiziertensterberate läge damit bei rund 1,3 Prozent, die Fallsterberate bei 2,6 Prozent. Letztere hängt jedoch wesentlich davon ab, wie viele der hospitalisierten Patienten adäquat behandelt werden können.

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