Hintergrund
Personalisierte Medizin erobert die Onkologie
Die personalisierte Medizin wird in der Onkologie immer mehr zum Hoffnungsträger. Grund für das große Interesse an der gezielten Behandlung sind nicht zuletzt die Erfolge in der Leukämie-Therapie.
Veröffentlicht:Bereits seit einiger Zeit haben auch Onkologen die Vision von einer individualisierten Therapie, auch als personalisierte Therapie bekannt. Voraussetzung dafür sind neue Diagnosemöglichkeiten, die eine gezielte, statt breit gestreute Therapie ermöglichen.
Dazu gehört, anhand von Biomarkern herauszufinden, ob ein Patient von einer bestimmten Therapie profitieren wird. Solche Marker befinden sich etwa auf der Ebene des Genoms und der Eiweißmoleküle.
Wegen des großen Potenzials ist die personalisierte Medizin Schwerpunktthema der diesjährigen Tagung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie in Berlin, die am Freitag beginnt.
Moderne Therapeutika richten sich dabei auf die beim Patienten tatsächlich vorliegende molekulare Zielstruktur. Und: Die Medikamentenauswahl und -dosierung wird an die Fähigkeit zur Verstoffwechselung durch den Patienten optimal angepasst.
Insgesamt sollen dadurch die Wirksamkeit medikamentöser Interventionen erhöht, die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen verringert, unnötige, nicht wirksame Interventionen vermieden und auch die Therapietreue der Patienten erhöht werden, wie es in einem Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (TA) des Deutschen Bundestages heißt. Letztlich helfen solche Marker, die Verlaufskontrolle einer Therapie zu verbessern.
Um die Entscheidung für eine bestimmte Therapie bei Krebs zu erleichtern, gibt es bereits Testsysteme, etwa Oncotype DX® (16 krebsrelevante und fünf Kontrollgene werden analysiert) und MammaPrint® (70 Gene werden analysiert) bei Brustkrebs sowie AmpliChip® bei Leukämie (Analyse von 300 Genen).
Die Ära der individualisierten Therapie eingeläutet haben die Medikamente Trastuzumab Ende der 90er Jahre für Frauen mit HER2-positivem Brustkrebs und Imatinib zur Behandlung von Patienten mit chronischer myeloischer Leukämie (CML) 2001.
Imatinib ist ein kleines Molekül und ein Tyrosinkinase-Hemmer. Zugelassen ist es für CML-Patienten, bei denen ein Test auf das Gen BCR-ABL positiv ist. Ein anderes Beispiel für Arzneien zur gezielten Therapie ist das Anti-Östrogen Tamoxifen bei Brustkrebs.
Auch bei Darmkrebs gibt es solche Medikamente, die nach einem entsprechenden Test gezielt verabreicht werden, zum Beispiel Cetuximab. Der monoklonale Antikörper bindet an bestimmte Rezeptoren und blockiert sie dadurch. Es hat sich herausgestellt, dass vor allem jene Patienten von der Therapie mit Cetuximab - in Kombination mit einer Chemotherapie - profitieren, deren Gen KRAS nicht mutiert ist. Ähnliches gilt für die Therapie mit dem Antikörper Panitumumab.
Ein weiterer Ansatzpunkt, Krebspatienten eine maßgeschneiderte Therapie anzubieten, steht im Zusammenhang mit der Verstoffwechselung der Medikamente. Bekanntlich ist die Fähigkeit, Arzneimittel zu verstoffwechseln, genetisch mitbedingt. Davon hängt ab, in welcher Dosis ein Krebsmittel bei einem bestimmten Patienten wirksam ist oder ob etwa schwere unerwünschte Wirkungen zu erwarten sind.
Das lässt sich testen, zum Beispiel durch Analyse des CYP2D6- oder des CYP2C19-Gens. CYP steht für Cytochrom P450, das Enzymsystem in der Leber, das auch für die Verstoffwechselung von Medikamenten sorgt. Dazu gehört etwa das Antiöstrogen Tamoxifen zur Therapie bei Brustkrebs, das durch CYP2D6 in das wirksame Produkt Endoxifen verwandelt wird.
Nicht zuletzt die Behandlung von Krebspatienten mit Tumorvakzinen ist Teil der individualisierten Krebsmedizin, etwa durch Verwendung patientenspezifischer Krebsantigene oder Patientenzellen bei der Herstellung von Tumorimpfstoffen. Begonnen hatte die Forschungsrichtung durch Dr. Steven Rosenberg in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts beim Melanom.
Weit fortgeschritten ist heute die Impfstoffentwicklung auch beim Prostata- und Nierenzell-Ca sowie bei Vakzinen gegen Non-Hodgkin-Lymphome.Noch ganz in den Anfängen stecken derzeit Versuche, patienteneigene Zellen über induzierte pluripotente Stammzellen für die Therapie zu gewinnen, bei denen etwa körpereigene verjüngte Hautzellen zur Geweberegeneration verwendet werden. Einer der Pioniere dieser Forschung ist Professor Rudolf Jaenisch vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge.
Durch die individualisierte Therapie können den Patienten wirksamere und sicherere Therapieoptionen angeboten werden. Die Leistungsträger müssten künftig mit geringeren Ausgaben für ineffektive Therapien rechnen. Der pharmazeutischen und diagnostischen Industrie schließlich eröffnen sich auch nach Auslaufen des "Blockbuster"-Modells attraktive ökonomische Perspektiven und somit auch Anreize für die Entwicklung neuer Medikamente, so ein Fazit des TA-Berichts.
Viele rechtliche Fragen der personalisierten Medizin sind noch nicht abschließend geklärt, wie Professor Christian Dierks, Facharzt für Allgemeinmedizin und Fachanwalt für Sozialrecht aus Berlin vor kurzem in der "Ärzte Zeitung" formulierte. Die Diskussion über die Konsequenzen der erweiterten diagnostischen Möglichkeiten werde daher in den kommenden Jahren zunehmen.
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