Erfahrungen in Thüringen

Mehr als 1400 Cannabis-Verordnungen – und ein skeptisches Fazit

Hunderte Patienten in Thüringer haben sich bisher Cannabis als Arzneimittel verschreiben lassen. Die Erwartungen nach der Freigabe 2017 waren groß – und wurden enttäuscht, findet ein Schmerzmediziner.

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Krankenkassen in Thüringen haben bis zu 74 Prozent der Anträge von Versicherten auf eine Cannabis-Verordnung genehmigt.

Krankenkassen in Thüringen haben bis zu 74 Prozent der Anträge von Versicherten auf eine Cannabis-Verordnung genehmigt.

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Jena. Seit der Freigabe von Cannabis als Arzneimittel haben mehr als 2300 Menschen in Thüringen einen Antrag auf Kostenerstattung bei den Krankenkassen gestellt. Bei mehr als 1400 wurde ein solcher Antrag genehmigt, wie mehrere große Kassen der Deutschen Presse-Agentur mitteilten.

Eingesetzt wurde Cannabis den Angaben zufolge vor allem für Patienten mit Schmerzsymptomen, aber auch teils für psychische Erkrankungen. Rezeptierbar sind THC-haltige standardisierte Medikamente (Cannabisblüten, Cannabisextrakte, Dronabinol) sowie Nabilon.

Fast fünf Jahre nach der Freigabe Anfang 2017 haben sich nach Einschätzung eines Experten jedoch viele Hoffnungen für die Therapie von Schmerzpatienten nicht erfüllt.

Diese Hoffnungen seien durch die große mediale und politische Aufmerksamkeit für das Thema geweckt worden, sagte der Leiter der Sektion Schmerztherapie am Universitätsklinikum Jena, Professor Winfried Meißner. „Und das steht in einem bemerkenswerten Kontrast zu den Daten, die wir haben.“ Diese zeigten, dass es für gewisse Symptome zwar medizinische Effekte gebe – „dass die aber in vielen Fällen maßlos überschätzt werden“.

Hoffnungen haben sich nicht erfüllt

In der Schmerztherapie gebe es etwa eine kleine Gruppe von Patienten, bei denen Cannabis schmerzlindernd wirken könne – etwa bei Patienten mit Rückenmarksverletzungen, Multipler Sklerose oder mit HIV. Hier sei in hochwertigen Studien, in denen eine Kontrollgruppe ein Placebo-Präparat bekommt, eine gewisse Wirksamkeit beschrieben worden. Diese sei aber nicht sehr groß. „Bei keiner dieser Schmerzarten gilt Cannabis als Mittel erster Wahl.“

Für viele andere Schmerzen wie etwa Rückenschmerzen oder Kopfschmerzen hätten sich die Hoffnungen ganz klar nicht erfüllt. „Dort sehen wir fast überhaupt keine Effekte“, so Meißner. Einige Patienten berichteten jedoch davon, dass der Schmerz zwar gleich bleibe, sie sich aber besser fühlten durch die „angenehmen Auswirkungen“ der Cannabis-Einnahme. Dort müsse man sich aber fragen, ob das Sinn der Behandlung sei.

Die alte Bundesregierung hatte im vergangenen März in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage betont, der geltende Rechtsrahmen erlaube eine „bedarfsgerechte Versorgung“.

Bis zu 74 Prozent Genehmigungsquote

Die meisten Cannabis-Genehmigungen in Thüringen seit 2017 verzeichnete die AOK Plus mit 908. Anträge wurden hier 1495 gestellt, das entspricht einer Genehmigungsquote von rund 61 Prozent.

In den vergangenen drei Jahren habe es jährlich etwa 200 Genehmigungen gegeben. Die Barmer genehmigte 363 von insgesamt 490 Anträgen (rund 74 Prozent). Bei der IKK Classic gab es 201 Genehmigungen bei 314 Anträgen (rund 64 Prozent).

Patienten müssen sich von ihrer Krankenkasse einmal ihre Cannabis-Verordnung genehmigen lassen, bevor ein Arzt die entsprechenden Arzneien auf Kosten der GKV verordnen kann. Diese Bewilligungen gelten dann für die Dauer der Therapie. Voraussetzung für eine Genehmigung sei, dass eine schwere Erkrankung vorliegt und es keine Therapie-Alternativen gibt.

Birgit Dziuk, Landesgeschäftsführerin der Barmer, machte klar, dass Cannabis kein „Allheilmittel“ sei, sondern immer Bestandteil eines umfassenden Therapiekonzeptes sein sollte. „Nur zur alleinigen Behandlung von Schmerzsymptomen ist Cannabis wenig geeignet.“ Cannabis-Verordnungen gehe daher in der Regel eine differenzierte Schmerzanamnese voraus, zu der auch psychische und soziale Aspekte zählen, die das Schmerzerleben beeinflussen, sagte sie. (dpa)

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