Niedersachsen / Umfrage
Am Ende: Zwei von drei Pflegenden votieren gegen ihre Kammer
Die Umfrage zum Fortbestand der Pflegekammer in Niedersachsen endet mit einem klaren Misstrauensvotum der Pflegekräfte: Sozialministerin Reimann kündigte daraufhin das Aus der Pflegekammer an.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Hannover. Die Pflegekammer Niedersachsen wird aufgelöst. Das kündigte Niedersachsens Sozialministerin Dr. Carola Reimann (SPD) am Montag in Hannover nach einer Abstimmung unten den Pflegenden im Land an.
15.100 von rund 78.000 befragten Mitgliedern der Pflegekammer Niedersachsen hatten an einer Online-Abstimmung über die Zukunft der Kammer teilgenommen. Von ihnen stimmten 70,6 Prozent gegen den Fortbestand der Kammer, 22,6 Prozent dafür, 6,8 Prozent enthielten sich.
„Dieses Ergebnis ist eindeutig“, erklärte Reimann. „Die Pflegekammer ist damit ganz offensichtlich nicht die Form von Vertretung, die sich die Pflegekräfte in Niedersachsen wünschen. Angesichts der kontroversen politischen Debatten im Vorfeld und auch noch während der Befragung hatten wir eine höhere Beteiligung erwartet“, so die Ministerin.
„Wir werden unverzüglich die Auflösung einleiten“
Bereits im Vorfeld hatte Reimann klargemacht, dass das Land das Abstimmungsergebnis akzeptieren werde. „Deshalb werden wir auf Grundlage dieser sehr deutlichen Zahlen nun unverzüglich die Auflösung der Pflegekammer einleiten. Mit der Erstellung eines entsprechenden Gesetzesentwurfs hat mein Haus bereits begonnen“, sagte Reimann.
Im Zuge der Abwicklung der Kammer werde auch die Rückzahlung der in den Jahren 2018 und 2019 geleisteten Mitgliedsbeiträge erfolgen, so Reimann: „Auch dies soll so schnell wie möglich passieren.“
Der Kammer sei es offenbar nicht gelungen, sich in den Augen der Pflegenden zum Sprachrohr der berufspolitischen Interessen zu machen, so Reimann weiter. Dies zeige sich auch an der vergleichsweise geringen Beteiligung an der Umfrage.
Reimann kündigte an, sich als Ministerin weiter für die Belange der Pflegenden im Land einzusetzen. „Und ich fordere alle auf, die sich im Streit um die Pflegekammer überworfen haben, nun wieder zusammenzurücken und im Schulterschluss für das gemeinsame Ziel einzutreten: die Situation in der Pflege zu verbessern.“
Unterdessen wehrt sich die Pflegekammer selbst gegen ihre Auflösung. Die Pflege dürfe nicht „auf stumm“ gestellt werden, mahnte die Präsidentin der Kammer, Nadya Klarmann, am Montag in Hannover. Das Ergebnis der Online-Befragung unter den Mitgliedern der Pflegekammer sei keine valide Entscheidungsgrundlage gegen die Pflegekammer Niedersachsen. Aus dem Ergebnis, dass etwa 13,7 Prozent aller Befragten eine Pflegekammer ablehnen, könne kein Auftrag abgeleitet werden, die Pflegekammer infrage zu stellen, hieß es.
„Rechtlich mehr als fragwürdig“
Als eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes, die vom Landtag beschlossen wurde, könne sie nicht auf Basis eines Minderheitenvotums revidiert werden, betonte Klarmann. Dies sei rechtlich „mehr als fragwürdig.“ Klarmann verwies auf die Verdienste der Kammer. So fanden 25 Regionalkonferenzen statt, die Kammer hat eine Ethikkommission eingerichtet und habe inzwischen in mehreren Landesgremien Sitz und Stimme. Der gesetzliche Auftrag und die begonnene Arbeit der Pflegekammer Niedersachsen müsse im Interesse der Pflegekräfte weiter aufgebaut und ausgebaut werden, hieß es.
Der Aufbau einer funktionierenden Kammer brauche Zeit. „Das niedersächsische Gesundheitsministerium soll der Pflegekammer die notwendige Zeit geben, ihren gesetzlichen Auftrag weiter zu erfüllen“, forderte die Präsidentin. „Pflege darf nicht auf stumm geschaltet werden! Die systemrelevante Berufsgruppe der Pflegekräfte braucht eine starke Stimme, die ihre mehr als berechtigten Interessen vertritt.“
Pflegerat sieht keine Legitimation zur Abschaffung
Auch der Deutsche Pflegerat (DPR) sieht keinen Grund, die Kammer aufzulösen. „Aus Sicht des Deutschen Pflegerates bietet das Befragungsergebnis keinerlei Legitimation, die Pflegekammer in ihrer Autonomie stark zu reduzieren oder gar abzuschaffen“, mahnte Franz Wagner, Präsident des DPR.
Wagner machte Sozialministerin Reimann für das Scheitern verantwortlich und sprach von „Politikversagen ersten Grades“. Mangels Anschubfinanzierung sei es es für die Kammer ein noch größerer Kraftakt gewesen als ohnehin, die Organisation aus dem Nichts aufzubauen, so Wagner. „Dann bereits nach zwei Jahren eine Evaluation durchzuführen und alleine eine Stimmungsfrage bei den Kammermitgliedern zur Schicksalsfrage zu stilisieren, ist unseriös.“
Die Landesregierung und vor allem Reimann hätten der Pflegekammer „von Anfang an eine tatkräftige und vor allem außenwirksame Unterstützung verweigert“. Die Regierung habe die Kammer von Anfang an für inkompetent erklärt, sich selbst zu verwalten, warf Wagner der Landesregierung vor. Für ihre Aufgabe, die Qualität der pflegerischen Versorgung zu sichern, brauche die Kammer Zeit.