Jagd nach dem Körperideal

Doping nicht nur im Spitzensport

Bei Doping denken viele an gefallene Stars. Aber der Sport ist ein Abbild der Gesellschaft. Nur wer leistungsbereit, fit und attraktiv ist, gilt als wertvoll. Das lässt auch viele Breitensportler zu unerlaubten Mitteln greifen.

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:
Für ein Sixpack und muskulöse Arme helfen nicht wenige Männer mit Arzneimitteln nach.

Für ein Sixpack und muskulöse Arme helfen nicht wenige Männer mit Arzneimitteln nach.

© Mainka/stock.adobe.com

Wie verbreitet ist Doping im Sport? Warum greifen Sportler zu leistungssteigernden Mitteln? Wie lässt sich der Missbrauch eindämmen? Mit diesen Fragen beschäftigte sich ein interdisziplinäres Symposium, das vom Institut für Sportwissenschaften der Universität Göttingen organisiert wurde.

Der Veranstaltungsort passte sehr gut zum Thema der Tagung: Die Vorträge fanden in der Gipsabdrucksammlung des Archäologischen Instituts statt. Die Teilnehmer waren umringt von athletisch gebauten Skulpturen aus dem griechischen und römischen Kulturkreis, die dem damaligen Idealbild des menschlichen Körpers entsprachen.

Gedopt wird auch bei Volksläufen

Um die optische Erscheinung und vermeintliche Körperideale gehe es auch den „Freizeitdopern“, erläuterte Dr. Mischa Kläber vom Institut für Sportwissenschaft der Technischen Universität Darmstadt.

Der Sozialwissenschaftler, der auch Leiter des Ressorts Präventionspolitik und Gesundheitsmanagement im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) ist, hat in Studien den Medikamentenmissbrauch im Freizeitsport untersucht. Dabei stellte er fest, dass Doping längst nicht mehr nur auf den Spitzensport beschränkt ist. Auch in bestimmten Bereichen des Breitensports seien Missbrauchspraktiken weit verbreitet, sagte Kläber.

So würden beispielsweise als Doping deklarierte Medikamente verwendet, um sich für ein abendliches Joggingprogramm zu aktivieren.

Bei Marathon- und Volksläufen sei ein frappierender Konsum bedenklicher Nahrungsergänzungspräparate und Schmerzmittel festzustellen: „Das ist ein Riesenmarkt, vor allem im Laufsport und bei anderen Ausdauersportarten.“

Abbild der Gesellschaft

Besonders stark verbreitet sei der Missbrauch im Umfeld von Fitnessstudios, sagte der Sozialwissenschaftler. Aus diversen Studien ergebe sich, dass etwa 15 Prozent der Besucher von kommerziellen Fitnessstudios Dopingpräparate konsumieren oder konsumiert haben. Hochgerechnet auf ganz Deutschland ergebe dies mehrere hunderttausend Konsumenten, die Medikamente zur Leistungssteigerung benutzen.

Kläber führt diese „Pharmakologisierung der Gesellschaft“ vor allem auf die zunehmende Leistungsorientierung zurück: „Der Sport ist ein Abbild gesellschaftlicher Verhältnisse. Nur der fitte, gut aussehende, leistungsbereite und immer belastbare Mensch wird in unserer Gesellschaft als wertvoll angesehen.“

Anfällig für Medikamentenmissbrauch seien vor allem jene Sportler, denen es in erster Linie um eine Verbesserung der individuellen Körperoptik gehe.

Mit dem Vertragsabschluss und dem regelmäßigen Krafttraining in einem Fitnessstudio werde bei ihnen ein biografischer Mechanismus in Gang gesetzt, der dazu führen könne, dass die Suche nach dem perfekten Körper suchtähnliche Züge annehme.

Diese subtile Dynamik werde nicht zuletzt dadurch angetrieben, dass sich das intendierte Ziel einer verbesserten Körperoptik nur durch permanente Anstrengung erreichen lasse: „Hat man sich durch Hanteltraining den Waschbrettbauch und imposanten Bizeps erarbeitet, muss man den auch halten.“

Bei passionierten „Körpermodellierern“ bilde sich dann häufig ein Leistungsindividualismus aus. Wenn sich ein Sportler zunehmend über seine Athletenrolle definiere, komme jeder figurtechnische Rückschritt einer regelrechten Katastrophe gleich: „Das ist eine biografische Falle, aus der man schwer herauskommt.“

Der Beginn ist zuächst oft harmlos

Am Anfang der Missbrauchsspirale stünden im Regelfall eher relativ harmlose Nahrungsergänzungspräparate wie Vitamin- und Aminosäureprodukte. Konsumierten Sportler auf der Suche nach immer leistungsstärkeren Mitteln auch Prohormone und Creatin, lasse der nächste Schritt allerdings oft nicht mehr lange auf sich warten.

Animiert durch den Austausch in einschlägigen Netzwerken, griffen sie auf dem Weg zum angepeilten Körperideal dann auch zu verschreibungspflichtigen Humanarzneimitteln wie Clenbuterol, Steroiden, Amphetaminen und Diuretika.

Erst in Pillenform, später würden auch Anabolika injiziert, weil dies angeblich gesünder und der Wirkstoffverlust geringer sei. Bei der Versorgung mit diesen Präparaten spiele die Ärzteschaft eine zunehmend wichtige Rolle, sagte Kläber.

Als nächste Etappe des sich steigernden Medikamentenmissbrauchs folgten Arzneimittel, die eigentlich für bestimmte Tierarten wie Rinder oder Katzen gedacht seien. Kraftsportler griffen zu veterinärmedizinischen Pharmaka, weil sie preisgünstiger seien und man leichter eine Verschreibung bekommen könne.

Besonders begehrt sei Ventipulmin, das normalerweise zur Behandlung von Atemwegserkrankungen bei Pferden angewendet und als Granulat dem Futter beigemischt wird. „Das ist ein Wahnsinn“, meinte der Wissenschaftler zu diesen gefährlichen Praktiken.

Verstehen, wie es zu Doping kommt

Nicht selten drehe sich die Missbrauchsspirale jedoch noch weiter. Studien hätten gezeigt, dass Personen, die anabole Steroide verwenden, häufig auch illegale Betäubungsmittel wie Marihuana, LSD, Speed oder Kokain konsumieren.

Wie lässt sich eine solche Missbrauchskarriere verhindern? Um erfolgreich Prävention betreiben zu können, müsse zunächst verstanden werden, „wie es zu Doping kommt“, sagte Kläber. Missbrauchspraktiken seien keine rein individuellen Entscheidungen.

Schließlich müsse man sich das Doping-Know-how erst einmal aneignen. Häufig spielten hierbei Fitnessstudios als motivierendes und assistierendes Umfeld eine entscheidende Rolle.

Dieses Missbrauchsmilieu könne auch auf andere Sportbereiche ausstrahlen. Nicht wenige Vereinssportler seien auch Mitglied in einem kommerziellen Fitnessstudio und könnten das dort erlernte „Know-how“ in Sportvereine tragen.

Betreiber von Fitnessstudios sollten deshalb zu einer besseren Kontrolle ihres Binnenraums verpflichtet werden. Weitere mögliche Präventivmaßnahmen seien unter anderem eine verstärkte Aufklärungsarbeit an Schulen und Fortbildungen für Trainer. Außerdem sollte über adäquate Kontrollmöglichkeiten und gegebenenfalls härtere Sanktionsmaßnahmen für korrumpierte Mediziner nachgedacht werden.

IAAF gibt mehr Geld für Dopingtest bei Straßenläufern

Der Leichtathletik-Weltverband IAAF hat auf Kontroll-Defizite bei Straßenläufern reagiert und ein neues Finanzierungssystem für die Ausweitung von Doping-Tests genehmigt. Vor allem wettkampfunabhängige Kontrollen sollen drastisch erhöht werden, beschloss der Council des Weltverbandes kürzlich in Monaco.

Dieses Programm basiert auf einer Analyse, wonach im Vorjahr 76 Prozent der 50 Gewinner der wichtigesten Straßenrennen – mit Ausnahme der Marathonrennen in Berlin, Chicago, New York, Tokio, Boston und London – nicht Teil eines wettbewerbsunabhängigen Anti-Doping-Programms waren.

Im selben Jahr waren 74 Prozent der Podiumsplatzierten bei diesen Straßenrennen nicht in Wettkampftestpools ihrer Länder aufgenommen worden. In 22 Prozent dieser Rennen wurde kein Athlet, der im männlichen oder weiblichen Rennen auf dem Podium stand, außerhalb des Wettbewerbs getestet.

Das bisherige Anti-Doping-Programm hatte sich in der Regel auf die besten 10 bis 15 männlichen und weiblichen Athleten in jeder Disziplin konzentriert. Nationale Anti-Doping- Organisationen waren beauftragt, die zweitrangigen Athleten zu testen, die am ehesten bei Olympia, Weltmeisterschaften oder anderen Top-Wettbewerben um Medaillen kämpfen.

"Aufgrund des außerordentlichen Wachstums in den letzten Jahren bestand für die Straßenrennsport-Branche die Gefahr, Opfer ihres eigenen Erfolgs zu werden, so IAAF-Präsident Sebastian Coe. (dpa)

Lesen Sie dazu auch: Sportmediziner Simon im Interview: „Wer gegen Doping vorgeht, wird bestraft“

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