Palliativmedizin

Mehr Verantwortung für Ärzte

Immer mehr Demenzkranke und immer mehr schwer kranke Kinder - die Herausforderungen in der Palliativversorgung wachsen. Derweil diskutiert Schwarz-Rot über ein striktes Verbot der Sterbehilfe.

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:
Wie weit darf die Begleitung von Patienten am Lebensende gehen? Die große Koalition debattiert noch darüber.

Wie weit darf die Begleitung von Patienten am Lebensende gehen? Die große Koalition debattiert noch darüber.

© Jörg Reimann / iStock / Thinkstock

BERLIN. Die Besonderheiten in der Palliativversorgung nehmen für Ärzte und Pflegekräfte zu: Bei schwer kranken und sterbenden Kindern und Jugendlichen ist die Prävalenz lebensbedrohlicher Erkrankungen in den letzten zehn Jahren um mehr als 30 Prozent gestiegen.

Von 10.000 Kindern seien inzwischen 32 von einer solchen Erkrankung betroffen sagte Professor Boris Zernikow aus Datteln während des 38. Interdisziplinären Forums der Bundesärztekammer "Fortschritt und Fortbildung in der Medizin" am Freitag in Berlin.

Die Patienten litten oft an zum Teil sehr seltenen Krankheitsbildern, die vorrangig mit neurologischen Symptomen und Lungenerkrankungen einhergingen.

600.000 Menschen in Palliativversorgung

Zudem nehme aufgrund der demografischen Entwicklung auch die Anzahl der demenzerkrankten Patienten zu. "Viele von ihnen können sich im letzten Lebensjahr nicht mehr verbal äußern", betonte der Gerontologe Professor Andreas Kruse.

Die schwere Krankheitsphase konzentriere sich auf eine immer kürze Lebensphase. Für Ärzte sei dies eine besondere Herausforderung.

Etwa 600.000 Menschen in Deutschland bedürften palliativmedizinischer Betreuung. Verbände warnten in der Vergangenheit immer wieder, dass die Palliativmedizin zu spät verordnet werde. Dies führe auch zu höheren Kosten.

Sterbehilfe-Gesetz über Parteigrenzen hinweg

Derweil diskutiert die große Koalition weiter über ein Verbot der Sterbehilfe. Justizminister Heiko Maas plädierte dafür, ein Gesetz zur Sterbehilfe über Parteigrenzen hinweg erarbeiten zu lassen.

Das Thema sei eine klassische Gewissensentscheidung, sagte Maas der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Die schwarz-gelbe Koalition hatte sich in der vergangenen Legislaturperiode nicht auf eine Regelung einigen können.

Jetzt peilt die Unionsfraktion offenbar erneut ein striktes Verbot der Sterbehilfe an. Medienberichten zufolge habe die Fraktion den Fuldaer CDU-Abgeordneten Michael Brand als Koordinator bestimmt.

"In der Unionsfraktion besteht Konsens, dass es bei dieser Frage von Leben und Tod keinen faulen Kompromiss geben darf", sagte Brand laut Medienberichten.

Lesen Sie dazu auch: Leitartikel zur Sterbehilfe: Sterbewillige dürfen nicht geächtet werden

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 13.01.201417:48 Uhr

"Schöner Wohnen", "Schöner Leben" und "Schöner Sterben"?

Im gesellschaftlichen Diskurs über Sterben, Vergänglichkeit und aktive bzw. passive Sterbehilfe gibt es so viel Verwirrungen, Missverständnisse und gegenseitige Schuldzuweisungen. Ein ganzes Genre in der bildenden Kunst, die "Vanitas-Malerei", zeugt seit Jahrhunderten davon. Auch die Literatur beschäftigt sich seit ewigen Zeiten mit diesem Thema. Allerdings tut man Rainer Maria Rilke bitter Unrecht, wenn man nur eine e i n z i g e Zeile aus den über 125 Strophen des dritten Buches "Von der Armut und vom Tode" (1903) zitiert, das Teil eines als Gesamtkunstwerk konzipierten, zwischen 1899 und 1903 entstandenen Gedichtzyklus "Das Stunden-Buch" ist.
http://www.rilke.de/gedichte/das_buch_von_der_armut_und_vom_tode.htm

Weil wir alle Betroffene sind, wollen, dürfen, können und sollen wir mitreden. Der spöttische Satz "Es ist schon alles gesagt! Nur noch nicht von allen!" von Karl Valentin gilt hier mal n i c h t. Denn wenn sich nicht A l l e zu diesem Problemkreis äußern, bleibt zu Vieles ungesagt. Deshalb auch die Gewissensentscheidung mit Aufhebung des Fraktionszwangs im Deutschen Bundestag.

Sterben ist m. E. grausame, harte Arbeit, ein oft langer Kampf mit vorhersagbarem Ausgang. Bei schwer kranken Kindern schon nach sehr kurzem Lebensabschnitt. Ein Russisches Sprichwort sagt: "Gehst Du nach rechts, verlierst Du Dein Geld; gehst Du nach links, verlierst Du Dein Pferd; gehst Du zurück, verlierst Du Deine Seele; gehst Du geradeaus, stirbst Du!" DER SPIEGEL formulierte als Titel am 26.5.2012 unser kollektives Wunschbild: "Ein gutes Ende - Wege zu einem würdevollen Sterben" und brachte eine umfassende, ausgewogene Berichterstattung.

Moderne post-industrielle Gesellschaften und übrigens auch eher fundamentalistisch-religiös orientierte Gemeinschaften saugen nahezu alle Widersprüche auf, Assimilieren, Kommerzialisieren oder Ideologisieren. Sie neigen alle zur Ästhetisierung der Reproduktion, des Gebären, Lebens und Sterbens.

Hierzulande beim Sterben vergleichbare Mechanismen: Die Katholische, in Teilen auch die Evangelische Kirche gemeinsam mit manchen Fundamentalisten und Fanatikern fordern die ganz harte Nummer: Sterben ohne Wenn und Aber; jede Form von Sterbehilfe oder ''Human Enhancement'' bleiben ausgeschlossen - "Asche zu Asche, Staub zu Staub".

Die Gegenseite fordert ''Ex- und Hopp'', ''Null Bock'', ''Da gibt''s doch was von Ratiopharm?''. Heerscharen von Experten sollen den Tod angenehm, leicht, soft, mit ''Genuss ohne Reue'' und ohne Wiederkehr gestalten. "Einen Cocktail einnehmen, der gut schmeckt und mich dann sanft einschlafen lässt", wird gefordert. B e i d e Richtungen sind in einer pluralen, offenen Gesellschaft wahrzunehmen und zu respektieren.

Doch ich persönlich glaube, dass es so einfach n i c h t ist. Statt Fortpflanzung, Geburt, Leben und Sterben mit Freude und Freunden, mit Leid und Mühsal, mit Produktivität und Kreativität, mit kultureller Reflexion, Sinnlichkeit und Sexualität kommunikativ und achtsam zu feiern, wollen wir Alles, was Behinderung, Krankheit, Siechtum, Leiden, Sterben und Tod erahnen lässt, eher ignorieren, abschieben und externalisieren. Und wenn es dann spät oder zu spät ist, muss Expertenrat und -tat her: Aktive, passive Sterbehilfe, assistierter Suizid, EXIT, DGHS usw. statt den Dingen ihren natürlichen Lauf zu lassen?

Ausgerechnet Ärztinnen und Ärzte sollen dann Verantwortung übernehmen und ganz im Goethe’schen Sinne "Wer handelt, macht sich schuldig" aktiv werden, nachdem sie bei den Einen noch palliativmedizinisch agiert und beraten haben, zur Abwechslung bei den Anderen den Schierlingsbecher reichen, eine tödliche Dosis einflößen oder die todbringende Spritze setzen?

Meine persönlichen ärztlichen Erfahrungen seit 1975 sagen mir, dass Todkranke ihren letzten Kampf und ihren letzten Weg in Ruhe, mit möglichst geringen Schmerzen und mit menschlichem Beistand gehen wollen. Unsere terminal sedierenden, palliativ

Monika Geissler 13.01.201412:58 Uhr

Selbstbestimmter Tod

Wenn ich mich entschieden habe, nicht mehr leben zu wollen in meiner letzten Lebensphase, aus welchen Gründen auch immer, möchte ich mich ungern vor einen Zug rollen oder mir eine Plastiktüte über den Kopf ziehen, bis ich ersticke, falls ich überhaupt noch in der Lage dazu sein sollte.
Ich möchte mich auch nicht in die Schweiz fahren lassen, um dort auf einem Parkplatz oder in einem Hotelzimmer von Mitarbeitern der Sterbehilfe Exit eingechläfert zu werden. Ich möchte, wenn immer es möglich ist, bei mir zu Hause, wo ich gelebt habe und glücklich war, einen Cocktail einnehmen, der gut schmeckt und mich dann sanft einschlafen lässt. Mit welchem Recht will man mir das verbieten? Da kann ich nur auf verständnisvolle Ärzte hoffen, die sich nichts vorschreiben lassen. Rainer Maria Rilke hat es unvergleichlich formuliert: O Herr gib jedem seinen eigenen Tod. Das Sterben, das aus jenem Leben geht, darin er Liebe hatte, Sinn und Not.

Margarita Moerth 13.01.201408:39 Uhr

Selbstbestimmungsrecht totkranker Menschen

Das Selbstbestimmungsrecht des Menschen muss doch auch die letzte Phase des Lebens, das Sterben nämlich, umfassen.

Ich finde diese Diskussion um eines unserer wesentlichen Rechte, jenes auf einen würdevollen Tod, kontraproduktiv. Außerdem geht sie an der Lebensrealität vorbei.

Es geht hier ja nicht darum, einem Totkranken auf dessen Wunsch den Kopfpolster aufs Gesicht zu drücken.

Es geht hier darum, Leidende bei der Erfüllung ihres Wunsches zu unterstützen, möglichst schmerzfrei und bewusst Abschied nehmen zu dürfen. Und das geschieht ohnehin bereits und allerorts; Dank Eigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit mündiger Menschen, und ganz ohne Einmischung von Besserwissern aller möglicher Disziplinen.

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