Neue Strategie
Notfallreform: Mehr Arzt, weniger Algorithmus geplant
Die Koalition verlagert die große Notfallreform in die nächste Legislaturperiode. Kleine Teile sollen aber schon mal auf den Weg gebracht werden.
Veröffentlicht:Berlin. Ärzte sollen nun doch früher in die Ersteinschätzung von ambulanten Notfallpatienten im Krankenhaus einbezogen werden. Das sehen aktuelle Änderungsanträge der Regierungsfraktionen zum GVWG vor, die der „Ärzte Zeitung“ vorliegen.
Sie sehen im Zusammenhang mit der Neuausrichtung der Notfallversorgung viel Arbeit für den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) vor. Neu ist etwa die Vorgabe an die Selbstverwaltung, Fälle zu benennen, in denen im Einschätzungsverfahren zwingend ein Arzt hinzuzuziehen ist, der bestätigt, dass kein sofortiger Behandlungsbedarf vorliegt und der betreffende Patient nicht vor Ort – sprich im Krankenhaus – versorgt werden muss.
Damit greifen die Regierungsfraktionen einen Beschluss des 124. Deutschen Ärztetags von Anfang Mai auf. Der Ärztetag hatte die zunächst geplante isolierte Einführung des Ersteinschätzungsverfahrens am Tresen im Krankenhaus abgelehnt. Das Vertrauen der Patienten werde erschüttert, wenn sie ohne ärztliche Abklärung allein aufgrund der Einschätzung eines Software-Algorithmus abgewiesen werden könnten.
GBA erhält mehr Zeit
Die Frist, binnen derer der GBA seine Vorgaben zum Ersteinschätzungsverfahren zu beschließen hat, soll von sechs Monaten auf ein Jahr verlängert werden.
Konkret festlegen soll das Gremium demnach die Spielregeln, nach denen das Ersteinschätzungsverfahren abzulaufen hat. Vorgaben soll das Gremium auch zur Qualifikation des ersteinschätzenden Personals machen.
Bei seinen Festlegungen soll der GBA auch die in den zentralen Notaufnahmen bereits zur Anwendung kommenden „Verfahren zur Behandlungspriorisierung“ berücksichtigen. Die Koalition erhofft sich dadurch eine „sachgerechte Verknüpfung der Systeme zur Ersteinschätzung und zur Behandlungspriorisierung“.
Warnung vor Akzeptanzverlust
Festlegen soll der GBA überdies, „wann und wie“ Patienten, die eben keine Notfälle sind, an die Terminservicestellen, eine Portalpraxis im Krankenhaus oder an einen Haus- oder Facharzt weitergeleitet werden sollen. Dem „kleinen Gesetzgeber“ GBA stehen damit zahlreiche Detailberatungen ins Haus. Diese dürften auch vor dem Hintergrund des anhaltenden Kompetenzgerangels bei der Notfallversorgung zäh ausfallen.
Gleichwohl hatte GBA-Chef Professor Josef Hecken unlängst unterstrichen, Ziel des Ersteinschätzungsverfahrens müsse sein, allen Menschen rechtzeitig und qualifiziert zu helfen. Selbst denen, die „nur“ an die Terminservicestellen vermittelt werden sollten, da ihr Problem nicht akut sei. Sonst bestehe die Gefahr, dass die vom Gesetzgeber erwartete Patientensteuerung eventuell nicht greife.
Opposition hält Reform am Kochen
Trotz vieler Ankündigungen haben Union und SPD die Notfallreform in dieser Legislaturperiode nicht auf die Beine stellen können. Die Fraktionen von FDP und Grünen wollen nun mit Anträgen an den Bundestag das Thema in der Diskussion halten.
Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen fordert, die Ansiedlung von Notfallpraxen an bestimmten Krankenhausstandorten zwingend vorzuschreiben. Der Sicherstellungsauftrag für eine Integrierte Notfallversorgung solle auf die Länder übergehen. Zudem solle die Bundesärztekammer einen Facharzt für Notfallmedizin schaffen.
Die Liberalen sehen die Notfallversorgung in Integrierten Notfallzentren (INZ) unter fachlicher Leitung der Kassenärztlichen Vereinigungen. Dafür sollten das Vertragsarztsystem, Kliniken und der Rettungsdienst „maximal verzahnt“ werden. Die Notfallleitstellen sollten einheitlichen Standards folgen und die Notrufnummern 112 und 116117 integrieren.
Wechsel der Sicherstellung hat Haken
Vertreter der Kassenärzte haben vor einer Übertragung des Sicherstellungsauftrags für die Notfallversorgung an die Länder gewarnt. Derzeit seien alle Vertragsärzte zur Teilnahme an der Notfallversorgung verpflichtet. „Diese Pflicht entfällt, wenn dieser Teil des Sicherstellungsauftrags an die Länder geht“, sagte KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister am Mittwoch.
Die Länder müssten dann die Versorgung der Patienten außerhalb der Sprechzeiten sicherstellen und dafür Ärzte rekrutieren sowie Verträge mit Kassen abschließen. Die Bereitschaftsdienstnummer 116117 könne dann abgewickelt werden, heißt es zudem in der Stellungnahme der KBV.
Die KBV streicht zudem das „flächendeckende Netz von Bereitschaftspraxen“ der KVen an mehr als 700 Krankenhausstandorten heraus, dessen Ausbau die KBV unterstütze. Im Zuge einer Notfallreform müsse zudem der aufsuchende Bereitschaftsdienst „unbedingt erhalten“ bleiben, so die KBV.
DKG: Wir sind tragende Säule
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft bezeichnet sich in ihrer Stellungnahme als „tragende Säule“ der Notfallversorgung in Deutschland. Etwa 1200 Krankenhäuser seien daran beteiligt. Die Krankenhauslobby fordert, den Ländern das Recht zu übertragen, Krankenhäuser dauerhaft zur ambulanten Versorgung zuzulassen. Die DKG bietet den Vertragsärzten „partnerschaftliche Kooperation“ bei der Notfallversorgung an. Gemeinsam betriebene INZ an den Krankenhäusern lehnt die DKG allerdings ab. Grund: Die Krankenhäuser seien per se solche Zentren.
Die Bundesärztekammer wiederum sieht keine Notwendigkeit, einen eigenen Facharzt für Notfallmedizin zu installieren. Diese Qualifikationen seien in der Ärzteschaft breit vorhanden. „Die derzeitige Weiterbildung in der Allgemeinmedizin befähigt zu einer qualifizierten Akutversorgung im notfallmedizinischen Bereich“.