"Pille danach"

Punktsieg für Befürworter der Freigabe

Die Union ist dagegen: Ein Notfallkontrazeptivum ist "kein Smartie", sagt sie und will an der Rezeptpflicht festhalten. Genauso wie viele Ärzte - sie verweisen auf die gewichtsabhängige Wirkung. Doch jetzt rüttelt die EMA an diesem Argument.

Florian StaeckVon Florian Staeck und Dr. Robert BublakDr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Die mögliche Entlassung von Levonorgestrel aus der Verschreibungspflicht ist seit Monaten im Bundestag umstritten.

Die mögliche Entlassung von Levonorgestrel aus der Verschreibungspflicht ist seit Monaten im Bundestag umstritten.

© Rolf Vennenbernd / dpa

LONDON/NEU-ISENBURG. Die europäische Arzneimittelagentur EMA bringt Bewegung in den in Deutschland festgefahrenen Streit um die "Pille danach".

Der EMA-Ausschuss für Humanarzneimittel CHMP schreibt in einer kürzlich veröffentlichten Empfehlung zu Levonorgestrel (LNG) und Ulipristal, "dass die verfügbaren Daten zu begrenzt und nicht aussagekräftig genug sind, um mit Sicherheit auf einen verringerten kontrazeptiven Effekt bei erhöhtem Körpergewicht zu schließen".

Die Medikamente könnten daher unbesehen des Gewichts und des Body Mass Index (BMI) als Notfallkontrazeptivum verwendet werden.

Damit entfiele ein wesentliches Argument, das bisher der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) ins Feld geführt haben. Beide Verbände werben intensiv für ein Festhalten an der Verschreibungspflicht für LNG.

Noch in der Anhörung des Bundestags-Gesundheitsausschusses Anfang Juli führten sie an, dass LNG bei Frauen mit einem BMI über 25 "kaum oder gar nicht mehr wirksam ist" - und dies gelte für 34 Prozent der deutschen Frauen.

Auch das von Gynäkologen als erste Wahl angesehene Ulipristalacetat (UPA) wirke nur bis 95 Kilogramm Körpergewicht, hieß es in der Stellungnahme: "Die Mädchen und Frauen, die LNG im guten Glauben an eine zielführende Wirksamkeit frei kaufen könnten, würden verhängnisvoll getäuscht."

Hinweis im Beipackzettel nötig?

Die Arzneimittelagentur in London ist nun zu einem völlig anderen Ergebnis gekommen. Grundlage der erneuten Prüfung durch die EMA war ein Hinweis, der Ende November vergangenen Jahres in die Produktinformation des Levonorgestrelprodukts NorLevo (in Deutschland nicht auf dem Markt) aufgenommen worden war.

Darin hieß es, das Präparat wirke ab einem Körpergewicht von 75 Kilogramm nur noch eingeschränkt und ab 80 Kilogramm gar nicht mehr. Daraufhin sah sich die EMA auf Betreiben von Schweden veranlasst zu prüfen, ob auch die Beipackzettel anderer Notfallkontrazeptiva mit solchen Hinweisen versehen werden sollten.

Der Rat der CHMP lautet nun, den Hinweis aus der NorLevo-Information zu entfernen. Zwar habe es in einigen klinischen Studien Anzeichen für einen nachlassenden Effekt von Levonorgestrel gegeben, in anderen Studien jedoch sei dies nicht festzustellen gewesen.

Ähnlich verhalte es sich mit Ulipristal, wo das Datenmaterial für definitive Folgerungen zu dürftig sei. Die CHMP will ihre Empfehlung an die Europäische Kommission weiterleiten, wo eine gesetzlich bindende Entscheidung für alle Länder der EU fallen soll.

Der künftig unnötige Vermerk im Beipackzettel hat eine politische Signalwirkung: Linke und Grüne werben seit Monaten für die Rezeptfreiheit von LNG. Die Union ist dagegen und verweist dazu auch auf Ärzteverbände, die eine ärztliche Beratung für geboten halten.

Die SPD hat sich in der Vergangenheit für die Entlassung von LNG aus der Verschreibungspflicht ausgesprochen, agiert bisher aber defensiv, um keinen Koalitionskrach zu riskieren.

Rückenwind für Befürworter einer Freigabe

Die Versuche des Bundesrats, eine Änderung der Arzneimittel-Verschreibungsverordnung zu erzwingen, sind am Widerstand von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) gescheitert.

Kann die EMA-Empfehlung diese Pattsituation auflösen? Die SPD-Gesundheitspolitikerin Mechthild Rawert jedenfalls frohlockt: "Den Ablehnern der Rezeptfreiheit der "Pille danach" und einer Beratung durch die Apotheker gehen immer mehr die sachlichen Gründe aus".

Zugleich wachse der Eindruck, dass es den Befürwortern der Verschreibungspflicht um "Ideologie und Pekuniäres" gehe, so Rawert.

Verdutzt über die Einschätzung der EMA zeigten sich BVF-Präsident Dr. Christian Albring und Professor Thomas Rabe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin (DGGEF). In einer gemeinsamen Mitteilung betonen sie, die EMA-Entscheidung komme sehr überraschend.

Nach wie vor halten sie die aktuellen Studien, die einen Zusammenhang zwischen Körpergewicht und Versagen der Notfallverhütung festgestellt hätten, für qualitativ überlegen: "Wir empfehlen deshalb allen Ärzten in Deutschland, unbedingt weiter bei Frauen mit einem Körpergewicht über 75 Kilogramm bzw. einem BMI über 25 von einer abgeschwächten Wirksamkeit von Levonorgestrel auszugehen und in diesen Fällen Ulipristalacetat zu verwenden", sagte Albring.

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