Gesetzesvorhaben
Spahns Intensivpflege-Pläne weiter in der Kritik
Der Bundestag berät am Mittwochabend erstmals über die geplante Intensivpflege-Reform. Nicht nur der Behindertenbeauftragte mahnt erhebliche Nachbesserungen an.
Veröffentlicht:Berlin. Die Kritik an der geplanten Reform der Intensivpflege hält an. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel (SPD), rief Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Mittwoch erneut dazu auf, seinen Gesetzentwurf nachzubessern.
Dusel hatte das Gesetzesvorhaben bereits in der Vergangenheit scharf kritisiert. Spahn wiederum hatte den im August 2019 vorgelegten ursprünglichen Entwurf nach massiven Protesten betroffener Patienten zwei Mal umschreiben lassen.
Behinderte Menschen sähen den vorgesehenen Neuregelungen im Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (IPReG) dennoch weiter „mit Unruhe“ entgegen, betonte Dusel bei einer Anhörung im Bundestags-Gesundheitsausschuss. Am Mittwochabend will das Parlament den Gesetzentwurf erstmals beraten.
Zwang zur Heimunterbringung unbedingt verhindern
Jeder müsse selbst entscheiden, „wo und mit wem er lebt“, sagte Dusel mit Blick auf die Versorgungssituation beatmungspflichtiger Patienten. Eine Unterbringung im Pflegeheim gegen den eigenen Willen sei unbedingt zu vermeiden.
Auch die SPD-Bundestagsfraktion mahnte eine stärkere Akzentuierung von Selbstbestimmung und Teilhabe an. „Die muss gesichert sein. Sonst werden wir einer Neuregelung nicht zustimmen“, sagte Fraktionsvize Bärbel Bas am Mittwoch. „Wenn ein Mensch gut zu Hause gepflegt wird, dann muss das möglich sein.“
Betroffenenverbände in Sorge
Die außerklinische Intensivpflege kann laut Gesetzentwurf in Pflege- und Behinderteneinrichtungen, in Intensivpflege-Wohneinheiten, in den eigenen vier Wänden oder auch in Schulen, Kindergärten oder Werkstätten erbracht werden. Die Medizinischen Dienste sollen im Auftrag der Krankenkassen in Form „persönlicher Begutachtungen am Leistungsort“ einmal jährlich überprüfen, ob die medizinische-pflegerische Versorgung „tatsächlich“ und „dauerhaft“ sichergestellt ist.
Dusel erinnerte in diesem Zusammenhang an die UN-Behindertenrechtskonvention, die auch von der Bundesrepublik unterzeichnet worden sei. Sie verpflichte dazu, Menschen mit Behinderungen die freie Entscheidung über ihren Aufenthalts- und Wohnort zu gewähren. Wenn aber am Ende doch die Krankenkasse darüber entscheide, werde dieses Recht faktisch ausgehebelt, so Dusel.
Auch bei Betroffenenverbänden hatte der Passus die Sorge wachsen lassen, zu Hause lebende Beatmungspatienten könnten aus ihrem bewährten Umfeld „herausgerissen“ werden. Die im Entwurf aufgeführten Begrifflichkeiten „tatsächlich“ und „dauerhaft“ seien viel zu schwammig, so die Kritik.
Wunsch nach Häuslichkeit
Überdies wolle das Gros der Beatmungspatienten nicht in einem Pflegeheim oder einer Intensivpflege-WG untergebracht sein. Letztere waren in der Vergangenheit ins Gerede gekommen, nachdem Pflegedienste überteuerte Abrechnungen für Intensivpflegeleistungen gestellt hatten.
Die Corona-Krise führe vor Augen, dass Pflegeheime und Wohneinrichtungen nicht unbedingt ein sicherer Ort seien, sagte Dusel. Gerade für Beatmungspatienten könnten Atemwegserkrankungen lebensbedrohlich sein. Zuletzt hatte es in mehreren deutschen Pflegeheimen COVID-19-Ausbrüche gegeben.
Kosten nicht auf Betroffene abwälzen
Das Recht, in der eigenen Häuslichkeit betreut zu werden, dürfe nicht eingeschränkt werden, sagte Dusel. Im schlimmsten Fall könne dies dazu führen, dass Pflegemängel nicht mehr gemeldet würden aus Angst, aus der Häuslichkeit zu fliegen.
Dusel forderte zudem eine klare Regelung, dass der Sicherstellungsauftrag für die Intensivpflege bei der Krankenkasse verbleibe und nicht durch die Hintertür auf Menschen mit Intensivpflegebedarf abgewälzt werden könne.
Pneumologen schätzen die Zahl beatmungspflichtiger Intensivpflegepatienten in Deutschland auf 25.000. Genaue Zahlen liegen nicht vor.