Überalterung im Reich der Mitte

China im Würgegriff der Demografie

China droht zu überaltern. Seit geraumer Zeit versucht Peking, alle Register zu ziehen. Im Fokus steht dabei auch das marode Gesundheitsystem.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Lo Pan: Der im Feng Shui verwendete Kompass spielt auch im Hightech-China noch eine Rolle.

Lo Pan: Der im Feng Shui verwendete Kompass spielt auch im Hightech-China noch eine Rolle.

© Comugnero Silvana/fotolia.com

PEKING. China fühlt sich im Würgegriff der Demografie. Vergangene Woche hat das 18. Zentralkomitee der Kommunistischen Partei unter dem Vorsitz von Präsident Xi Jinping das Ende der 1979 eingeführten Ein-Kind-Politik verkündet.

Schätzungen zufolge würde das Reich der Mitte ohne diese historische Maßnahme bis zu 400 Millionen Einwohner mehr zählen - 1,7 statt gegenwärtig 1,3 Milliarden Menschen.

Im Jahr 2050, so schätzen Experten, teilen sich zwei Arbeitnehmer, die Kosten für einen Rentner - derzeit sind es etwas über acht. Bisher dürfen Männer mit 60 Jahren in Rente gehen, Frauen teilweise schon mit 50 Jahren. Das sind angesichts der momentanen Eintrübung bei Chinas Wirtschaft keine rosigen Aussichten.

Bis 2020 Basiskrankenpolice für alle

Wie die deutsche Außenhandelsagentur Germany Trade & Invest (gtai) berichtet, setze China derzeit auf vielen Handlungsfeldern auf themenbezogene Fokus-Metropolregionen.

So soll - quasi auf dem Reißbrett - in Yingkou in der nordöstlichen Provinz Liaoning eine Gesundheitsstadt entstehen, bei der deutsches Versorgungs- und Pflege-Know-how zum Einsatz komme.

Geplant ist laut gtai unter anderem eine Klinik für Neurologie und Neurochirurgie nach Vorbild des International Neuroscience Institute in Hannover.Beim Aufbau eines modernen Rettungsdienstes greift China unter dem Dach der Björn-Steiger-Stiftung ebenfalls maßgeblich auf deutsches Know-how zurück.

Um die Defizite der vor allem auf dem Lande zum Teil desaströsen medizinischen Versorgung anzugehen, hat Peking bereits 2009 den Masterplan "Healthy China" ausgerufen, der bis 2020 eine staatliche Basiskrankenversicherung für die gesamte Bevölkerung gewährleisten soll.

Deutschland begleitet China bei der Reform seines gesamten Gesundheitswesens unter dem Dach des Deutsch-Chinesischen Forums. Eine entsprechende Vereinbarung trafen vor drei Jahren Bundeskanzlerin Angela Merkel und Chinas damaliger Ministerpräsident Wen Jiabao in Peking im Rahmen der zweiten Deutsch-Chinesischen Regierungskonsultationen.

Auch in Sachen Insult-Versorgung tut sich etwas im Staat: Wie die Chinesische Strategische Allianz für Industrielle Innovationstechnologien in der Diagnose und Behandlung von Kardiovaskulären und Zerebrovaskulären Krankheiten und das Pekinger Unternehmen IVT Technology vor Kurzem mitteilten, kooperierten die Partner, um das Nationale TeleStroke-Zentrum zu verbessern und ein flächendeckendes Schlaganfall-Rettungsnetz mit Hilfe des mHealth-Systems von IVT zu entwickeln.

Das regional ausgerichtete Rettungsnetz umfasse 300 staatlich bestimmte Krankenhäuser.

Kliniken bekommen Gegenwind

Gegenwind bekommen Chinas Kliniken derweil just auch von der Zentralregierung in Peking. So sieht der ab nächstem Jahr greifende, 13. Fünfjahresplan National Health Service Plan tief greifende Zäsuren für den Gesundheitsmarkt vor.

Ab dann soll zum Beispiel der bisher mehrheitlich im rezeptierenden Krankenhaus abgewickelte Arzneimittelverkauf - quasi eine finanzielle Grundsicherung der Kliniken - von den Krankenhäusern getrennt stattfinden.

Bekämpft werden soll auch der von Patienten in öffentlichen Kliniken aus der Privatschatulle zu bezahlende, exzessive Gebrauch von Medizintechnik, der über den Bedarf hinausgeht.

Auf der anderen Seite soll in jedem Bezirk ein Krankenhaus mit Fokus auf die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) vorgehalten werden.

Handlungsbedarf besteht in China auch in puncto medizinischer Rehabilitation: "Die Chinesen wollen landesweit die Reha nach deutschem Vorbild einführen, da es ein solches System bisweilen nicht gibt in der Volksrepublik", erläuterte im vergangenen Jahr Rainer Grimm, Direktor der Dr. Ebel Fachkliniken, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" (wir berichteten).

Die fortschreitende Überalterung Chinas sorgt nach Ansicht der halbstaatlichen Non-Profit-Organisation Hong Kong Trade Development Council (HKTDC) für großes Potenzial beim Themenkomplex Ambient Assisted Living (AAL), flankierende technische Assistenzlösungen zum Beispiel in der Pflege oder Zuhause.

So waren laut HKTDC im Jahre 2014 annähernd 140 Millionen Menschen in China 65 Jahre oder älter. Lunte gerochen haben hier auch schon einheimische Unternehmen - zum Beispiel der Elektrogigant Haier aus Qingdao. "Das Thema ‚mobile home‘ wird für uns immer wichtiger", sagte Haier-Sprecherin Lillian Xiong unlängst gegenüber der "Ärzte Zeitung".

Im Showroom der Firma im ostchinesischen Qingdao sind AAL-Lösungen zu sehen, die die Mobilität von älteren Menschen in den eigenen vier Wänden sicherstellen sollen, etwa hochmoderne Dusch-Klappsitze, die zahlreiche Brausen integriert haben.

Masterplan für Innovationskraft

Zwar vertrauen noch immer viele Chinesen auf die Wirkkraft der vor fünf Jahren von der UNESCO in die Liste des "immateriellen Weltkulturerbes" aufgenommenen TCM. Die Zentralregierung setzt aber auf die Strahlkraft zukunftsfähiger Technologien - und hat vor wenigen Monaten den Masterplan "Made in China 2025" ausgerufen.

Der laut gtai im vergangenen Jahr etwas mehr als umgerechnet 34 Milliarden US-Dollar schwere chinesische Medizintechnikmarkt könnte dabei exportunabhängiger werden. Bisher stammen die Hightech-Medizingeräte meist aus dem Ausland.

Was die Innovationskraft der chinesischen Anbieter angeht, verzeichnet das Europäische Patentamt in München im Zeitraum 2005 bis 2014 eine jährliche Wachstumsrate bei Patentanmeldungen chinesischer MedTech-Anbieter von 23,5 Prozent - auf niedrigem Ausgangsniveau.

China will im Übrigen künftig auch stärker am Marktgeschehen im Bereich Medizinrobotik teilhaben.

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