Pandemie-Management
WHO nur noch Spielball der Supermächte?
Nach dem verheerenden Management der Ebola-Krise in Westafrika Mitte des vergangenen Jahrzehnts verordnete sich die Weltgesundheitsorganisation Reformen. Alles, was die WHO braucht, ist Zeit. Die will ihr US-Präsident Trump angesichts der grassierenden globalen Corona-Pandemie aber nicht geben. China könnte davon profitieren.
Veröffentlicht:Washington/Genf/Peking. Das hatte gesessen: Dienstag vergangener Woche stellte US-Präsident Donald Trump während einer Pressekonferenz im Rosengarten des Weißen Hauses die Weltgesundheitsorganisation (WHO) öffentlichkeitswirksam an den Pranger – als Sündenbock in der globalen COVID-19-Pandemie. Er drohte zudem mit einem Stopp, respektive einer Überprüfung der US-Beitragszahlungen – mit im Schnitt 450 Millionen Dollar pro Jahr an Pflichtbeiträgen und zweckgebundenen, freiwilligen Mitteln sind die Vereinigten Staaten der größte Geldgeber der WHO – an die in Genf beheimatete Sonderorganisation der Vereinten Nationen.
Für Trump ist klar: Durch das aus seiner Sicht Missmanagement der WHO und deren Vertrauen auf offizielle Angaben aus China zum Infektionsgeschehen mit dem neuartigen Coronavirus habe sich die Epidemie dramatisch verschlimmert und rund um die Welt verbreitet – somit gehe eine Vielzahl an COVID-19-Todesfällen in den USA auf das Konto der Weltgesundheitsorganisation.
Finger in die Wunde gelegt
Das rief Angela Merkel auf den Plan – im Rahmen der von Deutschland vor zwei Jahren initiierten „Allianz für Multilateralismus“ stehen inzwischen 17 Länder hinter dem Kurs der Bundeskanzlerin zur Unterstützung der WHO. „Wir müssen in unserer Menschlichkeit vereint bleiben“, heißt es darin. „Die COVID-19 Pandemie ist ein Weckruf für Multilateralismus.“ Man unterstütze den Aufruf der Vereinten Nationen zu globaler Solidarität in der Krise „und besonders die Rolle der WHO bei der Koordination der Antwort auf die Epidemie im Gesundheitsbereich“.
Trump hatte mit seiner WHO- Tirade – vielleicht sogar unwissentlich – den Finger in eine offensichtlich nur schwer und sehr langsam heilende Wunde der Weltgesundheitsorganisation gelegt. Die 1948 gegründete WHO hat sich qua Verfassung das Ziel gesetzt, allen Menschen Zugang zur bestmöglichen Gesundheitsversorgung zu verschaffen – verankert in der 1998 auf der Weltgesundheitsversammlung (World Health Assembly/WHA) verabschiedeten Strategie „Gesundheit für alle im 21. Jahrhundert“, die auf der „Alma-Ata-Deklaration“ von 1978 fußt.
Gab es im Laufe der Jahrzehnte immer wieder Kritik an der Managementkompetenz der WHO bei Gesundheitskrisen, so war mit der Ebola-Epidemie in den westafrikanischen Staaten Guinea, Liberia und Sierra Leone zwischen Ende 2013 und Anfang 2016 mit 11.308 Todesopfern der bisherige Tiefpunkt der WHO-Performance erreicht – die damalige Generaldirektorin Dr. Margaret Chan gestand Fehler im Krisenmanagement ein. Sie stieß vor fünf Jahren auf der 69. Weltgesundheitsversammlung bereits erste Reformschritte an, die ihr Nachfolger, der ehemalige äthiopische Gesundheitsminister Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, fortführen sollte – und auch immer noch will.
Nächste Bewährungsprobe Kongo
2017 billigten die WHA-Delegierten das neue Programm der Organisation für gesundheitliche Notlagen. Als Ziel verfolgt die WHO, im Rahmen der Notfallbewältigung neue Verfahren für die Risikoabschätzung, die Einstufung von Notlagen und das Ereignismanagement zum Einsatz kommen zu lassen. Die nächste Bewährungsprobe ließ auch nicht lange auf sich warten – wieder auf dem afrikanischen Kontinent und mit der alten Bekannten: Ebola. Als im Mai 2018 in Kongos Westen der neunte Ebola-Ausbruch des zentralafrikanischen Landes zu verzeichnen war, ließ Tedros die WHO-Krisenmanagementmaschinerie auf vollen Touren laufen.
Um zu zeigen, dass die WHO bereits aus der westafrikanischen Ebola-Krise gelernt hatte und die gegenwärtige Krisenreaktionsgeschwindigkeit zu untermauern, wies Tedros darauf hin, dass das erste multidisziplinäre Team taggleich mit der Information durch die kongolesische Regierung über die bestätigten Ebola-Fälle nach Bikoro aufgebrochen sei – darunter Vertreter der „Ärzte ohne Grenzen“ –, um die Koordination vor Ort zu stärken und die Untersuchungen zu steuern.Am selben Tag wie jetzt die öffentliche Trump-Schelte durch Washington hallte, ließ die WHO in Genf verlauten, dass die zwischendurch für beendet geglaubte Ebola-Epidemie im Kongo weiterhin, wie Mitte Juli vergangenen Jahres ausgerufen, als internationale Notlage (Public Health Emergency of International Concern/PHEIC) angesehen werde – es waren drei neue Fälle im Land gemeldet worden. Am 30. Januar hatte die WHO – damals noch gegen das neuartige Coronavirus 2019-nCoV – den sechsten PHEIC in ihrer Geschichte ausgerufen. Sie muss nun ihre Schlagkraft an zwei besonders brenzligen Fronten unter Beweis stellen.
Pekings Interessen unterworfen?
Trumps Vorwurf der China-Hörigkeit der WHO in der Corona-Krise gilt vor allem dem Besuch von Generaldirektor Tedros bei Staatspräsident Xi Jinping in Peking im Vorfeld des Ausrufens der internationalen Notlage. „Der chinesischen Regierung muss gratuliert werden für die außerordentlichen Maßnahmen, die sie ergriffen hat, um den Ausbruch ungeachtet der schwerwiegenden sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen zu verhindern“, lobte Tedros das chinesische Vorgehen und attestierte Peking große Transparenz – im Vergleich zur SARS-Krise Anfang des Jahrtausends.
Trotz aller Kritik an dem Vorgehen des WHO-Generaldirektors muss man ihm wohl konzedieren, dass dies der einzige Weg war, um offizielle Informationen über die Situation in Wuhan – dem Epizentrum der gegenwärtigen COVID-19-Pandemie – zu bekommen. Denn – anders als der volatile Twitter-Aktionist Trump und seine „strategische Rationale“ des „America first“ – verfolgt der chinesische Staatspräsident Xi mit eiserner Hand nur ein Ziel. Das Reich der Mitte soll bis 2049 – dem Zentennium der Kommunistischen Partei als Staatslenker – vor den USA zum globalen Technologieführer werden und damit endgültig auch den Status einer Supermacht erreichen. Ethik spielt dabei allenfalls als wohlfeiles, rechtsunverbindliches Lippenbekenntnis im Dialog mit dem Westen eine Rolle.
Xi ist im Gegensatz zu Trump per se kein Gegner des Multilateralismus – er bindet gerne internationale Partner ein, aber zu seinen Bedingungen. Das hat er wohl auch Tedros klar gemacht – auf diplomatischem Wege.
Und das heißt für Xi auch, dass Peking an seiner Ein-China-Politik selbst in Zeiten des internationalen Krisenmodus nicht rüttelt. Somit bleibt Taiwan, das Peking weiterhin als abtrünnige Provinz betrachtet und somit beansprucht, auch für den Inselstaat zu sprechen, mit seinen 23 Millionen Einwohnern von der WHO ausgeschlossen. Das rief wiederholt politische Kritik auf den Plan. „Es wird schwierig sein, die Gesundheit zu schützen und weitere Infektionen in dieser Region zu verhindern, wenn Taiwan aus politischen Gründen ausgeschlossen ist“, monierte Premierminister Shinzo Abe Anfang Februar vor dem japanischen Parlament. Anfang April kritisierten auch die Liberalen im Bundestag, dass die WHO die Hilfe Taiwans bei der Eindämmung des Virus wegen politischen Drucks aus China ausschlage, und rief die Bundesregierung dazu auf, einzugreifen.
Zwischen Vabanque und Ping-Pong
Taiwan gilt im Kampf gegen Corona als Musterland. Dass das Xi nicht recht sein kann – schon gar nicht unter der 2016 erstmals ge- und im Januar 2020 wiedergewählten Präsidentin Tsai Ing-wen, die immer wieder die Unabhängigkeit Taiwans betont –, ist offensichtlich. So verlor Taiwan 2016 auf Druck Pekings den WHA-Beobachterstatus. Am 8. April beschuldigte Tedros nun öffentlich Taiwan, hinter einer Diffamierungskampagne gegen ihn zu stehen. Wie Nachforschungen ergaben, standen aber vom Festland stammende Einwohner hinter der Online-Attacke – ein weiterer Schachzug Xis?
Mit Beitragszahlungen für den Doppelhaushalt 2018/19 von gerade einmal 86 Millionen Dollar – knapp 76 Millionen Dollar davon Pflichtbeiträge – spielt China bei der Finanzierung der WHO also nur eine sehr untergeordnete Rolle. Zum Vergleich: Deutschland leistete für den Zeitraum Zahlungen in Höhe von 292 Millionen Dollar, wobei 61 Millionen auf die Pflichtbeiträge entfielen.
Die USA werden wohl erst wieder nach der – möglicherweise zweiten – Amtszeit Trumps wieder eine realistische Chance haben, der WHO den Rücken zu stärken, damit die Weltgesundheitsorganisation nicht zu einem reinen Spielball der divergierenden Interessen der Supermächte verkommt. Glück im Unglück: Offensichtlich ist Russlands Präsident Wladimir Putin – die Beitragszahlungen Moskaus beliefen sich für 2018/19 auf insgesamt 57 Millionen Dollar – derzeit nicht daran gelegen, die WHO für seine Interessen einzuspannen.
Bis die Weltgemeinschaft die COVID-19-Pandemie erfolgreich bekämpft haben wird, bleibt WHO-Generaldirektor Tedros derzeit also nichts anderes übrig, als mit Trump – die USA haben ihre Beiträge für 2018/19 wie auch für 2020 noch nicht beglichen – Vabanque zu spielen und sich mit Xi in der Ping-Pong-Diplomatie zu üben.