Medizintourismus
Weniger Patienten für deutsche Kliniken?
Vor allem aus dem wichtigsten Quellmarkt Russland bleiben zunehmend Patienten weg, die sich in Deutschland einem Eingriff unterziehen. Auch die Patientenströme vom Golf brechen ein – eine Bestandsaufnahme.
Veröffentlicht:SANKT AUGUSTIN/HEIDELBERG/DUBAI. Nach einem anfänglichen Mauerblümchendasein haben sich viele hochspezialisierte Kliniken in Deutschland berappelt und das Potenzial entdeckt, das ihnen wohlhabende Patienten vor allem aus dem Mittleren und Nahen Osten sowie aus Russland und den anderen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion bieten.
Es wurde viel Geld in Infrastruktur und nicht-medizinische Experten investiert, um die hohen Ansprüche befriedigen zu können. Die Maschinerie lief – jedes Jahr stieg die Zahl der ausländischen Patienten, die gezielt für einen medizinischen Eingriff nach Deutschland kommen.
Auch 2015 stieg sie nach Angaben des Medizintourismusexperten Jens Juszczak von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nochmals um insgesamt 1,4 Prozent auf etwas mehr als 255.000 Patienten aus 177 Ländern. Diese bescherten dem deutschen Gesundheitssystem durch die Inanspruchnahme stationärer und ambulanter Behandlungen Einnahmen von über 1,2 Milliarden Euro.
Sanktionen schlagen durch
Die Entwicklung in Russland treibt den deutschen Medizintourismuswerbern die Sorgenfalten auf die Stirn. Denn Russland verteidigte noch 2014 seine Position als wichtigster Quellmarkt mit etwa 9800 stationären und 15.000 ambulanten Patienten.
Das bisher wichtigste Herkunftsland für Medizintouristen Russland verzeichnete laut Juszczak 2015 im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang von 32,4 Prozent. Maßgeblich hierfür dürften die Ende Juli 2014 von der EU im Zuge der unter Präsident Wladimir Putin erfolgten Krim-Annexion erweiterten EU-Wirtschaftssanktionen gegen Russland sein.
Die sinkenden Behandlungszahlen seien Auswirkungen der schlechten Wirtschaftslage. "Behandlungen im Ausland sind für die Russen sehr teuer geworden. Deshalb reisen sie nur noch in dringenden medizinischen Fällen", erläutert Juszczak.
Dazu kommen weitere schlechte Nachrichten aus dem Osten: Aus der Ukraine und Kasachstan kamen 2015 rund 17 Prozent weniger Patienten nach Deutschland als noch 2014. Die seit Jahren schwelende Sezessions- und Wirtschaftskrise in der Ukraine mit dem einhergehenden Kaufkraftverfall merken auch dort potenzielle Medizintouristen im Geldbeutel.
Je nach den Quellmärkten, auf die sich Kliniken in Deutschland fokussieren, fallen auch die Einbußen entsprechend hoch aus. "Insbesondere Bundesländer mit einer bisher großen Nachfrage aus Russland wie beispielsweise Berlin spüren dies deutlich. Mit einem Minus von 16 Prozent verzeichnete die Hauptstadt den stärksten Rückgang aller Bundesländer bei den Auslandspatienten", konkretisiert Juszczak.
Besserung sei auch nicht so schnell in Sicht: Auch wenn 2017 die Rezession der russischen Wirtschaft die Talsohle durchschritten haben dürfte, könne in den nächsten Jahren nicht die zweistelligen Wachstumsraten der Vergangenheit erwartet werden, so der Experte für Medizintourismus weiter.
Regionale Konkurrenz erstarkt
Die geringe positive Entwicklung der Patientenzahlen aus dem Ausland verdanken die Kliniken vor allem einer größeren Nachfrage aus Europa und den arabischen Golfstaaten, verdeutlicht Juszczak. Letztere verzeichneten mit 17 Prozent das höchste Wachstum, getragen vor allem durch Saudi Arabien (plus 34 Prozent) und Kuwait (plus 19 Prozent).
Dass diese Entwicklung stabil sein wird, lässt sich anhand der starken Volatilität in der Vergangenheit bezweifeln, schränkt er ein. "Bereits seit Ende 2016 brechen die Patientenzahlen aus dem arabischen Raum ein", so Juszczak. Auslöser seien unter anderem eine deutliche Verringerung der finanziellen Mittel für Auslandsbehandlungen in vielen Golfstaaten, aber auch Veränderungen in den Botschaften und Konsulaten.
Wie Juszczak bereits in der Vergangenheit gegenüber der "Ärzte Zeitung" sagte, seien die deutschen Kliniken ebenfalls vorsichtiger geworden, hätten aus der Vergangenheit gelernt und würden sich nicht mehr blind auf Kostenübernahmeerklärungen zum Beispiel von Konsulaten verlassen.
Hier habe es zum Teil besonders bei Patienten aus dem arabischen Raum, die oft über staatliche Institutionen, die auch die Kosten zu tragen hätten, zur Op ins Ausland verschickt werden, massive Probleme mit der Rechnungsbegleichung gegeben. Nun setzten die meisten Anbieter auf Vorkassevereinbarungen, die im Kostenvoranschlag zur Behandlung niedergelegt seien.
Auf der anderen Seite schwebt nach Juszczaks Ansicht mit DRG und GOÄ ein strukturelles Problem wie ein Damoklesschwert über deutschen Kliniken. "Ein qualitativ hochwertiger Eingriff ist in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern sogar recht günstig".
Denn in Deutschland werden Kliniken für die Behandlung inländischer Patienten genauso honoriert wie für die von Medizintouristen – auf Basis von DRG und GOÄ. Und das bei einem geschätzten Mehraufwand von rund 30 Prozent, den Medizintouristen im Zuge ihrer Behandlung im Vergleich zu einheimischen Patienten verursachten.
Nicht außer Acht lassen dürfen deutsche Kliniken auch die Bestrebungen Saudi-Arabiens, bis 2030 international konkurrenzfähiger zu werden – auch auf dem gesundheitssektor. Zudem investieren die Vereinigten Arabischen Emirate massiv in den Ausbau ihrer Gesundheitsangebote – zum Beispiel in der steuerfreien Dubai Healthcare City.
Ziel ist explizit, mehr und mehr Medizintouristen aus der Region anzuziehen – wozu derzeit noch limitierte Kapazitäten in Bereichen wie der Onkologie und der Kardiologie ausgebaut werden sollen, umd die Medizintouristen nicht an andere Regionen zu verlieren.