Neuropathischer Schmerz

Bei Herpes zoster Schmerztherapie von Anfang an!

Gürtelrose nicht ernst zu nehmen, ist ein Fehler. Das gilt auch und besonders für die Schmerztherapie: Sie gehört obligatorisch dazu.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Patient mit Herpes zoster im Brustbereich.

Patient mit Herpes zoster im Brustbereich.

© phadungsakphoto / stock.adobe.co

"Das heilt von selber!" Diese Auffassung zur Gürtelrose (Herpes zoster) ist erstaunlicherweise nach wie vor verbreitet: "Zinksalbe drauf, das wird schon".

Doch es gibt jeden Grund, Herpes zoster ernst zu nehmen: Wenn Varizella-zoster-Viren nach jahre- bis jahrzehntelangem "Winterschlaf" in Neuronen und Satellitenzellen der Glia wieder erwachen und in die kutanen Nervensegmente wandern, sind sie in der Lage, in befallenen Keratinozyten die angeborene Immunität zu unterdrücken und Apoptose- Mechanismen zu hemmen.

Die gefürchtete postherpetische Neuralgie hat ihre Ursache offenbar in Hinterhornatrophien, und geht mit Zell-, Axon- und Myelinverlust in den betroffenen sensiblen Ganglien einher. Es gibt Hinweise auf subakute oder chronische Entzündungen.

Und: die Zahl exzitatorischer Nervenfasern nimmt in Relation zu inhibitorischen Fasern zu, berichten Professor Uwe Wollina und Privatdozent Jochen Machetanz aus Dresden in einem Fortbildungsbeitrag für Springer Medizin (Hautarzt 2016; 67 (8): 653-665).

Innerhalb von 72 Stunden reagieren

All dies sind Gründe, möglichst unmittelbar nach Auftreten der typischen Bläschen mit der antiviralen Behandlung zu beginnen, spätestens innerhalb von 72 Stunden. In erster Linie werden dazu Aciclovir oder Brivudin genutzt, bei schweren Fällen wird die intravenöse Gabe nötig.

Die topische Behandlung beschleunigt das Eintrocknen der Bläschen, mindert den Juckreiz und beugt der sekundären bakteriellen Infektion vor. Diese erfordert unter Umständen die gezielte Antibiose.

"Was allzu häufig versäumt wird, ist eine ausreichende Schmerztherapie", sagt Dr. Oliver Emrich, Allgemeinarzt am Schmerzzentrum Ludwigshafen. "Sie sollte frühzeitig eingeleitet werden", empfiehlt der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. (DGS).

Ältere Empfehlungen, dabei nach WHO-Schema vorzugehen, sind überholt. "Der Schmerz wird von vornherein behandelt wie ein neuropathischer Schmerz", betont Emrich. "Ich beginne mit einem trizyklischen Antidepressivum, etwa Amitryptilin."

Anästhetika nutzen

Lidocain- oder Polidocanol-haltige Salben und Auflagen haben eine lokal anästhesierende Wirkung, die genutzt werden kann. Bei sehr starkem Erstschmerz, vor allem bei Patienten über 60, beginnt Emrich dagegen sofort mit einer niedrig dosierten Dreierkombination aus Amitryptilin, Gabapentin oder Pregabalin und einem Opioid wie Tramadol oder Tilidin. "Damit bestehen die besten Chancen, einer Schmerzchronifizierung vorzubeugen."

Über zwei bis vier Wochen muss bei einer akuten Zoster-Erkrankung mit signifikanten therapiepflichtigen Schmerzen gerechnet werden. Zuweilen beginnt der Schmerz schon vor den Effloreszenzen. Bestehen solche Schmerzen länger als 90 Tage nach Einsetzen des Hautausschlags, wird von postherpetischer Neuralgie (PHN) gesprochen.

Je älter der Zoster-Patient ist, desto wahrscheinlicher wird eine PHN: Liegt die Rate bei etwa 50-Jährigen bei 10 Prozent, ist bei über 85-jährigen Zoster-Patienten jeder zweite Opfer der PHN – mit teils brennenden Dauerschmerzen, attackenartigen lanzinierenden Schmerzen und/oder Allodynie/Hyperpathie. Hinzu kommt ein zum Teil quälender Juckreiz.

Die Schmerztherapie erfolgt nach Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Mittel der ersten Wahl sind trizyklische Antidepressiva, gegebenenfalls selektive Serotonin-(Noradrenalin-) Wiederaufnahmehemmer (SSRI/SNRI) wie Duloxetin sowie die Kalziumkanal-modulierenden Antikonvulsiva Gabapentin oder Pregabalin und/oder – vor allem bei einschießenden Schmerzen – Carbamazepin als Natriumkanal-modulierendes Antikonvulsivum.

Individuelle Dosis entscheidend

"Wichtig ist, die individuelle Dosis mit zu Beginn niedrigen Medikamentenkonzentrationen zu titrieren, Ziel ist eine mindestens 30- bis 50-prozentige Schmerzlinderung", sagt Emrich. "Dieses Setting kann von nichtmedikamentösen und lokalen Verfahren flankiert werden."

Dazu gehören topische Verfahren mit Lidocain oder ein Versuch mit Capsaicin-Pflastern sowie Lokal- und Leitungsanästhesien. Eine transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) muss supraläsionell oder kontralateral erfolgen, keinesfalls im Schmerzgebiet.

Emrich: "Als ultima ratio bei therapieresistenten, quälenden Schmerzen kann ein Versuch mit invasiven Neurostimulationsverfahren stehen." Wollina und Machetanz verweisen zudem auf eine kleine offene Studie bei fazialer PHN, in der fünf von acht Patienten mit einer topischen Behandlung mit dem Cannabinoid-Rezeptor-Agonisten N-Palmitoylethanolamin geholfen werden konnte (J Dtsch Dermatol Ges 2010; 8: 88-91).

Lesen Sie dazu auch: Interview zur Leitlinie Herpes: "Uns geht es um die Vernetzung der Ärzte" Prävention: Eine Impfung reduziert das Zoster-Risiko

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 13.09.201711:29 Uhr

Warum "postherpetische Neuralgie" (PHN) und nicht "Post-Zoster-Neuralgie" (PZN)?

WIKIPEDIA schreibt zu dieser Begriffsverwirrung: "Eine Post-Zoster-Neuralgie (PZN) - auch postherpetische Neuralgie oder postzosterische Neuralgie - äußert sich in z. T. extrem starken Nervenschmerzen als Folge einer Gürtelrose. Sie betrifft vor allem ältere Menschen. Vermutlich sind sie die Folge einer dauerhaften Schädigung eines Nervs, der zuvor durch das Varizella-Zoster-Virus (VZV) geschädigt wurde."
https://de.wikipedia.org/wiki/Post-Zoster-Neuralgie
Im Übrigen ist ein klassischer segmentaler "Herpes" nicht zwingende Voraussetzung für die Diagnose eines Varizella-Zoster-Infektions-Syndroms ("Gürtelrose").

Wenn die Ursache offenbar Hinterhorn-Atrophien mit Zell-, Axon- und Myelinverlust in den betroffenen sensiblen Ganglien sind, und Hinweise auf subakute oder chronische Entzündungen bestehen, weshalb verwendet man dann nicht mehr den historisch älteren Begriff der post-zosterischen Neuritis?

Zu Beginn meiner hausärztlichen Tätigkeit 1992 hatte ich i.d.R. 5-10 Patienten mit quälenden post-zosterischen Schmerzsyndromen zu betreuen, bei zumeist inadäquater und insuffizienter externer Vorbehandlung. Überrascht war ich, wie häufig Varizella-Zoster-Virus (VZV) Erkrankungen auch bei jungen Erwachsenen unter 30 Jahren auftraten. Ein 26-Jahre-alter Patient kam z.B. 4 x wegen rechtsseitiger zunehmend migränoider Kopfschmerzen im oberen Trigeminusbereich zu mir, bis sich endlich Bläschen mit labortechnisch nachweisbarem VZV-Material zeigten.

Meine Strategie war immer, sofort mit Zovirax®/Aciclovir 800 mg 5/7/35 bzw. mit dem neueren Zostex®/Brivudin zu beginnen. Post-zosterische Schmerzsyndrome sind bei mir persönlich (2001 exakt 6 Monate nach Hochdosis-Chemotherapie und autologer Stammzelltransplantation) und bei meinen Patienten/-innen unter diesen Therapien nicht aufgetreten.

Das Statement: "Der Schmerz wird von vornherein behandelt wie ein neuropathischer Schmerz", betont Emrich. "Ich beginne mit einem trizyklischen Antidepressivum, etwa Amitryptilin", ist bei einem primär neuropathischen Schmerzgeschehen eigentlich eine Tautologie. In meiner Praxis tauchen immer wieder Ratsuchende auf, die vom Schmerztherapeuten Amitriptylin verordnet bekommen, damit aber wegen der Nebenwirkungen und der Beipackzettel-Infos gar nicht klar kommen.

Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, als Mittel der ersten Wahl trizyklische Antidepressiva, selektive Serotonin-(Noradrenalin-) Wiederaufnahmehemmer (SSRI/SNRI) wie Duloxetin sowie Kalziumkanal-modulierende Antikonvulsiva wie Gabapentin oder Pregabalin und/oder – vor allem bei einschießenden Schmerzen – Carbamazepin als Natriumkanal-modulierendes Antikonvulsivum zu empfehlen, müssen m. E. überarbeitet werden. Duloxetin wird überbewertet, Carbamazepin unterbewertet.

Dass bei sehr starkem Erstschmerz, vor allem bei Patienten über 60, sofort mit einer niedrig dosierten Dreierkombination aus Amitryptilin, Gabapentin oder Pregabalin und einem Opioid wie Tramadol oder Tilidin begonnen werden sollte, kann ich nur bestätigen: "Damit bestehen die besten Chancen, einer Schmerzchronifizierung vorzubeugen."
Ich persönlich lasse Amitriptylin als Erstlinien-Therapie aber eher ganz weg, bzw. nehme es nur als Reservemedikation.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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