COVID-19
Allgemeine Impfpflicht? Ethikexpertinnen eher skeptisch
Während die Zahl der Befürworter einer Corona-Impfpflicht in der Bevölkerung offenbar steigt, raten die Medizinethikerin Christiane Woopen und Ethikrat-Mitglied Frauke Rostalski erst einmal zu anderen Maßnahmen.
Veröffentlicht:Berlin/Köln. Fast zwei Drittel der Menschen in Deutschland befürworten eine allgemeine Corona-Impfpflicht. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitut YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sprachen sich 63 Prozent dafür aus, alle Menschen in Deutschland zur Immunisierung gegen das Virus zu verpflichten. Nur 30 Prozent sind dagegen, 7 Prozent machten keine Angaben.
Damit hat sich die Stimmung seit Beginn der Corona-Impfungen in Deutschland vor knapp einem Jahr gedreht. Wenige Tage nach der ersten Impfung am 26. Dezember vergangenen Jahres hatten sich in einer YouGov-Umfrage noch 56 Prozent gegen eine allgemeine Impfpflicht und nur 33 Prozent dafür ausgesprochen.
Auch die Bundesregierung hatte eine allgemeine Impfpflicht lange Zeit abgelehnt. Nun soll der Bundestag in den kommenden Wochen darüber entscheiden. Nach dem Wunsch des wohl künftigen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) soll sie bis spätestens Anfang März in Kraft treten.
Woopen: Nur schwer begründbar
Die Bonner Medizinethikerin Christiane Woopen zeigt sich hingegen skeptisch gegenüber einer allgemeinen Impfpflicht. Einen solchen Schritt halte sie für „sehr schwer begründbar“, sagte die frühere Vorsitzende des Europäischen Ethikrats am Samstag im Deutschlandfunk. „Ich finde, dass wir im Moment in einer Situation sind, wo sich zumindest eine gestufte Impfpflicht begründen lassen könnte.“ Ihr scheine das „eine sehr lange und sehr differenzierte Diskussion werden zu müssen, denn das liegt alles andere als auf der Hand“.
Sollte eine Impfpflicht unvermeidbar erscheinen, schlägt Woopen vor, sie zunächst für bestimmte Berufsgruppen in bestimmten Einrichtungen einzuführen: in Krankenhäusern, Pflegeheimen, möglicherweise an Orten, an denen Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen versorgt würden. Und in einem zweiten Schritt für Menschen über 60 Jahre. „Diese Idee beruht darauf, dass es ja darum geht, die Intensivstationen zu entlasten und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden.“ Weniger gehe es darum, den Einzelnen vor seiner eigenen Erkrankung zu schützen.
Impfpflicht nur für bestimmte Berufs- und Altersgruppen?
Auf den Intensivstationen lägen aber vorwiegend ältere Menschen, betonte Woopen. „Das heißt, wenn man eine Impfpflicht auf bestimmte Altersgruppen beschränken würde, hätte man diese Situation auch schon bewältigt und müsste alle diejenigen unter 60 oder unter 50 Jahren nicht von dieser Impfpflicht mit umfasst wissen.“ Woopen sagte zugleich, sie schlage aber vor, „alles dafür zu tun, um eine Impfpflicht zu vermeiden“. Es sei noch nicht alles ausprobiert worden, um mehr Menschen zu einer Impfung zu bewegen.
Die Kölner Juraprofessorin Frauke Rostalski, Mitglied im Deutschen Ethikrat, wendet sich gegen eine allgemeine Impfpflicht. „Hat der deutsche Staat wirklich schon alle Instrumente in die Hand genommen, bevor er zur Keule einer Impfpflicht greift?“ Sie denke: nein. „Aber auch unabhängig davon: Eine Impfpflicht für diejenigen, die kein erhöhtes Risiko aufweisen, mit COVID-19 auf der Intensivstation zu landen, lässt sich aus meiner Sicht generell nicht rechtfertigen.“
Eine allgemeine Impfpflicht gebe es derzeit in Tadschikistan, Turkmenistan und im Vatikanstaat. „Ich weiß nicht, ob das für uns die Vorbilder sein sollten“, sagte Rostalski dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Sie warnte vor einer weiteren Vertiefung der gesellschaftlichen Spaltung durch Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. (dpa)