Krankenhaus-Prognose
Corona-Krise als „Mutter aller Reformen“?
Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben: Spätestens im Frühjahr 2021 folgt der COVID-19-Pandemie eine verschärfte Reformphase, so eine Prognose des GKV-Spitzenverbandes.
Veröffentlicht:Berlin. Bevor die Gesundheitspolitik längerfristig wirkende Strukturreformen wieder aufgreift, wird sie in den kommenden Monaten ganz überwiegend mit der Bewältigung der COVID-19-Pandemie und einer Adjustierung der bislang schon eingesetzten Instrumente beschäftigt sein. Spätestens im Herbst wird ein Kassensturz in der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgen müssen. Vier Phasen gesundheitspolitisch notwendiger Entscheidungen hat der Leiter der Abteilung Krankenhausversorgung des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Wulf-Dietrich Leber, in seiner Prognose für die nächsten zwölf Monate identifiziert.
Modifiziertes Corona-Management
Nicht kritikwürdig, aber korrekturbedürftig seien die Reaktionen auf den historisch höchsten Bettenleerstand in den Krankenhäusern. Die Leerstandsprämie von 500 Euro pro Bett und Tag führe zu einer Unterfinanzierung der Maximalversorger; notwendig sei eine Differenzierung nach Kliniktypen. Fragwürdig sei auch die Gewährung einer solchen Prämie für Kliniken ohne Intensivstationen, die kaum etwas zur Behandlung schwerer Corona-Fälle hätten beitragen können. Die temporäre Zulassung von Reha-Einrichtungen als Krankenhäuser sei sinnlos, wenn Kliniken zu einem Drittel nicht ausgelastet seien.
Für eine Rückkehr zur Normalität unter der Bedingung, weiter eine Corona-Reserve zur Verfügung zu halten, benötigten die Entscheidungsträger neben den Daten von RKI und DIVI über das Pandemiegeschehen Echtzeitdaten über die Mitternachtsbelegungen aller Klinikstationen. Diese Daten müssten öffentlich verfügbar sein, fordert Leber.
Rettungsschirm für Kassen?
Angesichts absehbarer Einbrüche bei den Beitragseinnahmen müsse spätestens im Herbst über einen Rettungsschirm für Krankenkassen diskutiert werden. Die Debatte um einen Bundeszuschuss werde begleitet sein von Streit um die Lastenverteilung zwischen Krankenhäusern, anderen Leistungserbringern, Bund und Ländern sowie zwischen GKV und PKV.
Dann müsse auch entschieden werden, wer letztlich die derzeit über den Gesundheitsfonds finanzierten Kosten von 50.000 Euro je neu aufgebautem Corona-Intensivbett – die Gesamtsumme beläuft sich nach GKV-Angaben auf mehr als eine Milliarde Euro – zu tragen habe. Nach geltender Rechtssystematik müssten dies die Länder sein, weil es sich um eine Maßnahme zur Gefahrenabwehr handelt, argumentiert Leber. Bei einer Finanzierung über den Gesundheitsfonds müsse eine Beteiligung der privaten Krankenversicherung erwogen werden.
Rückkehr zur Routine
Die Rückkehr zur Budget- und Behandlungsroutine werde um den Jahreswechsel 2020/21 möglich sein, wenn es keine zweite Pandemiewelle im Herbst gebe. Diese Routine werde aber aufgrund der pandemiebedingten erratischen Entwicklung der Klinikerlöse in diesem Jahr nicht auf 2020er Daten aufsetzen können. Vielmehr werde man auf den Budgets des Jahres 2019 aufbauen und dabei – entgegen dem ursprünglichen Zeitplan – mit korrigierten DRG-Pauschalen und einem Pflegebudget auf Selbstkostenbasis weiterarbeiten. Ergänzend müsse eine weitere Budgetkomponente für eine Corona-Reservekapazität vereinbart werden. In jedem Fall werden die Pflege und Pflegepersonalmindestgrenzen – auch aus Gründen des Patientenschutzes – wieder in den Blickpunkt rücken.
Neustart für Reformen
„Die Krise gilt als Mutter aller Reformen“, prognostiziert Leber und sieht dafür massiven Handlungsbedarf, nicht zuletzt auch unter sehr viel engeren finanziellen Bedingungen. Die Debatte um die Bürgerversicherung werde im Wahljahr erneut aufflammen. „Insbesondere in der ausgabendynamischen Pflegeversicherung wird sich die Frage stellen, warum Beamte und Besserverdienende nicht an der solidarischen Umverteilung teilnehmen.“
In jedem Fall werde die derzeitig aufgeschobene Reform der Notfallversorgung auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Corona-Pandemie neu aufgelegt. Eindeutig notwendig sei dabei ein bundesweit verbindliches Echtzeit-Monitoring von Krankenhauskapazitäten für den Rettungsdienst.
Folgen werde die Pandemie auch für die Krankenhausplanung haben: „Wenn der Bund milliardenschwer in die Krankenhausfinanzierung eingestiegen ist, dann wird er auch bundeseinheitliche Kriterien für die Strukturierung durchsetzen wollen und können.“ Die Landesplanung werde dabei zunehmend durch „algorithmische Marktregulierung“ ersetzt.
Eine „katalytische Wirkung“ aufgrund der Pandemie erwartet Leber für die Digitalisierung. Die wesentliche Herausforderung werde eine digitale Patientenakte sein, in der auch die Pflege abgebildet werden kann.