Leopoldina

Der Gesetzgeber soll bei Fortpflanzungsmedizin endlich aufwachen

Experten der Leopoldina-Akademie fordern vom Gesetzgeber, ein Fortpflanzungsmedizingesetz anzugehen. Das geltende Embryonenschutzgesetz verdammen sie in Bausch und Bogen.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
„Regenbogenfamilien“ sind im Embryonenschutzgesetz von 1990 nicht vorgesehen.

„Regenbogenfamilien“ sind im Embryonenschutzgesetz von 1990 nicht vorgesehen.

© Uwe Anspach/dpa

BERLIN. Ein interdisziplinäres Expertengremium drängt die künftige Bundesregierung, ein Fortpflanzungsmedizingesetz auf die Agenda zu setzen. Das Papier der 16 Fachleute der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina würde auf eine weitreichende Liberalisierung des Embryonenschutzgesetzes hinauslaufen.

Dieses aus dem Jahr 1990 stammende Gesetz berücksichtige viele reproduktionsmedizinische Entwicklungen der vergangenen 30 Jahre nicht. Es stammt aus einer Zeit, als die nach künstlicher Befruchtung geborenen Kinder noch "Retortenbabys" hießen.

Welche Aspekte sollten reformiert werden?

Zudem handele es sich ausschließlich um ein Abwehrgesetz, das mit strafrechtlichen Verboten arbeitet. Im Ergebnis würden Ärzte "nicht selten zu einer dem heutigen internationalen Stand nicht mehr angemessenen Behandlung" ihrer Patienten gezwungen, heißt es. Als besonders reformbedürftig werden unter anderem diese Punkte genannt:

  • In-vitro-Fertilisation: International, so die Experten, sei der elektive Single-Embryo-Transfer Standard, bei dem von mehreren Embryonen derjenige mit der größten Entwicklungsfähigkeit übertragen wird. Das aber sei in Deutschland verboten. Das deutsche Recht nehme Mehrlingsschwangerschaften mit Frühgeburten in Kauf.
  • Eizellspende: Die Samenspende ist in Deutschland erlaubt, nicht aber die Eizellspende. Begründet worden sei dies 1990 mit den "vermeintlich schädlichen Auswirkungen einer ‚gespaltenen Mutterschaft‘". Die internationale Forschung habe indes belegt, dass "keine bedeutsamen Nachteile" beim Aufwachsen dieser Kinder zu beobachten seien. Die Gefahr einer Kommerzialisierung der Eizellspende lässt sich nach Ansicht der Autoren durch strikte Vorgaben – wie etwa bei der Lebendorganspende – bannen.
  • Embryospende/Embryoadoption: Das deutsche Adoptionsrecht kennt diese Optionen nicht. Der Deutsche Ethikrat hat im März 2016 in einer Stellungnahme angemahnt, es dürfe bei den "Verantwortungsbeziehungen", die aus einer Embryospende entstehen, nicht bei "privaten Arrangements" bleiben. Der Gesetzgeber müsse einen Rechtsrahmen schaffen.
  • Leihmutterschaft: Der Expertenkreis bekennt sich zwar nicht ausdrücklich zu einer Zulassung der in Deutschland verbotenen Leihmutterschaft, fordert aber gesetzliche Regeln, um das Wohl der im Ausland von einer Leihmutter geborenen Kinder sicherzustellen. Stichworte sind hier elterliche Sorge, Unterhaltsansprüche oder Fragen der Staatsangehörigkeit.
  • Social Freezing: Aus medizinischen und sozialen Gründen lassen Frauen Eizellen kryokonservieren. Die Rahmenbedingungen für Aufbewahrung, Befruchtung und Übertragung der Eizellen sollte geregelt werden.

Der Gesetzgeber hat in den vergangenen Jahren nur neue Rechtsinseln geschaffen, wie mit der beschränkten Zulassung der Präimplantationsdiagnostik oder zuletzt mit dem Samenspenderegister. Doch der Druck, ein kohärentes Fortpflanzungsmedizingesetz zu schaffen, kommt nicht nur von Ärzten.

Der Deutsche Juristentag mahnte 2016, neu entstandene Fragen im Abstammungsrecht und zur Leihmutterschaft rasch zu regeln. Juristen sehen den Begriff des "Abstammungsrechts" als überholt an. Denn in "Regenbogenfamilien" gehe es nicht mehr nur um Personen, die genetisch miteinander verwandt sind.

Embryonenschutz-Gesetz

  • Das im Jahr 1990 verabschiedete Gesetz besteht aus 13 Paragrafen, die primär strafbewehrte Verbote formulieren.
  • Ein Fortpflanzungsmedizin-Gesetz konnte der Bund vor 27 Jahren wegen fehlender Zuständigkeit nicht erlassen.
  • Verschiebungen in der Gesetzgebungskompetenz, zuletzt durch die Föderalismusreform 2006, machen ein solches Gesetz des Bundes nun möglich. Es könnte somit biomedizinische, familien- und sozialrechtliche Regeln zusammenführen.
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