Spahn

Die Notfall-Probleme „an der Wurzel packen“

Und noch eine Reform: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn stellt Details seiner Umbaupläne für die Notfallversorgung vor. Die zahlreichen Reaktionen zeigen, wie viele Interessen es bei dem Thema gibt.

Anno FrickeVon Anno Fricke und Thomas HommelThomas Hommel Veröffentlicht:
Jens Spahn am Montag im Foyer des Gesundheitsministeriums.

Jens Spahn am Montag im Foyer des Gesundheitsministeriums.

© Anno Fricke

BERLIN. Bei der Reform der Notfallversorgung zeichnet sich eine scharfe Konfliktlinie ab.

Die Lobbygesellschaft der Krankenhäuser (Deutsche Krankenhausgesellschaft) hält es für „absolut unverständlich“, dass Kliniken künftig gemeinsam mit den Kassenärztlichen Vereinigungen Betriebe gründen sollen, um die geplanten Integrierten Notfallzentren (INZ) zu organisieren.

Das sei sachlich nicht zu begründen und zudem mit großen verfassungsrechtlichen Bedenken besetzt, heißt es in einer Mitteilung der DKG von Montag.

„Die Krankenhäuser können diese Zentren alleine betreiben und die Kooperation mit den niedergelassenen Ärzten auch ohne die KVen im Sinne einer guten und nachhaltigen Organisation der ambulanten Notfallversorgung bewerkstelligen“, betonte DKG-Präsident Dr. Gerald Gaß am Montag.

Die DKG befürchte jahrelange Verhandlungen und einen Zuwachs an Bürokratie aufgrund dieser geplanten Verpflichtung.

KBV: Bewährtes nicht aufgeben

In einem Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur Reform der Notfallversorgung heißt es, dass die INZ gemeinsam von Kassenärztlichen Vereinigungen und einem Krankenhaus eingerichtet und betrieben werden sollen.

Sollten die dafür erforderlichen Kooperationsvereinbarungen aufgrund von „Interessengegensätzen“ zwischen den Vertragsparteien scheitern, soll das jeweilige Land den Inhalt der Vereinbarung festsetzen. Die Länder sollen zudem den Sicherstellungszuschlag für die sprechstundenfreie Zeit übernehmen.

Der Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, lobte die Reformpläne, betonte aber zugleich, dass „gewachsene Strukturen“ nicht zerstört werden dürften.

„Die Kassenärztlichen Vereinigungen bauen mit großen Anstrengungen die derzeitige Bereitschaftsdienstnummer 116.117 zu einer umfassenden Nummer aus, unter der spätestens ab Beginn des nächsten Jahres sowohl Terminvermittlungen als auch Ersteinschätzungsverfahren stattfinden können.“ Bereits heute betrieben die KVen an den Krankenhäusern mehr als 600 Bereitschaftsdienst- oder Portalpraxen, so Gassen.

„Diese Strukturen gilt es, sinnvoll zu integrieren.“ Ein dritter, neuer Sektor wäre dafür „der falsche Ansatz“. Vielmehr gilt es, vorhandene und bewährte Strukturen zu bündeln. Eines sei aber klar, so Gassen. Neue Ärzte gebe es dadurch nicht. „Es gilt, die knappen Ressourcen zu bündeln.“

Spahn setzt auf Effizienzgewinne

Durch die Bündelung der Notfallversorgung aus einer Hand seien „Effizienz-, aber auch Versorgungsgewinne“ zu erwarten, zeigte sich derweil Gesundheitsminister Spahn überzeugt. Dadurch könne es zu weniger stationären Aufnahmen kommen. Teurer müsse die Versorgug durch die geplante Reform nicht werden.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion der Grünen Dr. Kirsten Kappert-Gonther schlug vor, Mittel aus dem Krankenhausstrukturfonds für den Aufbau der Integrierten Notfallzentren umzuwidmen.

Dass mit der Reform ein neuer Sektor im Gesundheitswesen entstehen soll, werten Vertreter des GKV-Spitzenverbandes kritisch. „Erfahrungen aus der Vergangenheit haben gezeigt, dass ein solches Unterfangen eben kein Nullsummenspiel wird“, teilte der Verband auf Anfrage mit.

Keiner der bisherigen Leistungserbringer werde freiwillig Geld abgeben wollen, sagte die stellvertretende Verbandssprecherin Ann Marini der „Ärzte Zeitung“.

Litsch: "Wichtiger Konkretisierungsbedarf"

Martin Litsch, Vorstandschef des AOK-Bundesverbands, nannte die Pläne "einen guten Ansatz, die Notfallversorgung in Deutschland sektorenübergreifend zu reformieren". Allerdings gebe es auch noch "wichtigen Konkretisierungsbedarf".

So müsse der Gesetzgeber etwa dafür sorgen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) Vorgaben für Leistungsumfang, Kapazitätsplanung und Personalausstattung in den Integrierten Notfallzentren erlassen können.

Die Kassen erhoffen sich dadurch vor allem einheitliche und verbindliche Strukturen in der Notfallversorgung. KBV und Marburger Bund hatten erst kürzlich in einem gemeinsam erarbeiteten Papier Vorschläge zur personellen Ausstattung sowie zur Qualitätssicherung bei der Ersteinschätzung in den INZ gemacht.

Dass der Sicherstellungsauftrag für die sprechstundenfreie Zeit der Vertragsärzte an die Länder übergehen soll, scheint indes noch nicht in Stein gemeißelt.

„Unser Signal ist, dass die Notfallversorgung aus einer Hand zu organisieren ist, um eine wirklich verantwortliche Struktur zu haben“, sagte Gesundheitsminister Spahn. Ziel sei es, die „Probleme in der Notfallversorgung an der Wurzel zu packen“.

Streit programmiert

Auf den sich abzeichnenden Streit zwischen DKG und KV-System sieht sich der Minister vorbereitet. „Wir moderieren Streit in der Regel so, dass wir ein Ergebnis politisch herbeiführen, wenn er nicht zu einem produktiven eigenständigen Ergebnis führt.“

Monatelange Auseinandersetzungen zwischen den ausweislich der vorliegenden Gesetzespläne zur Zusammenarbeit in den Integrierten Notfallzentren verdonnerten Partnern will Spahn nicht dulden. „Dann muss es immer Mechanismen geben, die schnell zu einer Entscheidung führen“, so der Minister.

Auch der Präsident der Bundesärztekammer Dr. Klaus Reinhardt meldete sich zu Wort: „Bei der Einrichtung der Notfallzentren gilt Qualität vor Schnelligkeit“, sagte Reinhardt. Dies betreffe auch das geplante neue Zusammenspiel zwischen Kliniken, Kassenärztlichen Vereinigungen, den Bundesländern sowie den Ärztekammern, aber auch Fragen zur notwendigen Personalverfügbarkeit, der Qualifikation sowie verlässlicher Regelungen einer extrabudgetären, additiven Finanzierung.

Es müsse genau hingeschaut werden, wie tragfähig die geplante Konstruktion sei, ergänzte der Sprecher des Hartmannbundes, Michael Rauscher. Reibungsverluste durch mögliche Interessenkonflikte sollten von vorneherein ausgeschlossen werden.

Länder begrüßen Mitsprache

Aus den Ländern kamen erste positive Signale. Brandenburgs Gesundheitsministerin Susanna Karawanskij (Linke) sagte, es sei „erfreulich“, dass das Bundesgesundheitsministerium seine Zusage einlöse, die Bundesländer in das Gesetzgebungsverfahren zur Notfallreform frühzeitig einzubinden.

„Initiativen, die zum Ziel haben, die gegenwärtig für die Notfallversorgung vorgehaltenen Ressourcen zu bündeln, sind dringend notwendig, um die ambulante Notfallversorgung zu verbessern“, sagte Karawanskij am Montag der „Ärzte Zeitung“.

Die Björn Steiger Stiftung, die sich bundesweit für die Notfallhilfe einsetzt, teilte mit, es sei richtig, die Notrufnummer 112 und die Nummer 116 117 für den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst „unter einem Dach“ bearbeiten zu lassen, wie wir es schon gefordert hatten“. Dies sei ein wichtiger Schritt dahin, Patienten in einem bisher unübersichtlichen Gesundheitssystem besser zu lotsen und sie mehr an die Hand zu nehmen.

Darüber hinaus würden auch Rettungskräfte entlastet. Denn so könnte direkt am Telefon entschieden werden, ob ein Notfall vorliege und Rettungskräfte ausrücken müssten oder ob ein Arztbesuch für den Pateinten ausreiche beziehungsweise der Arzt mit dem Fahrdienst zum Patienten komme.

In der Folge würden Rettungskräfte bei echten Notfällen keine wertvolle Zeit verlieren. „Mit Jens Spahn haben wir endlich einen Bundesgesundheitsminister, der dringend nötige Veränderungen im Rettungswesen auf den Weg bringen will“, betonte Steiger.

Wir haben den Beitrag aktualisiert am 22.07.2019 um 17:19 Uhr.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Auf in den heißen Sommer

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Dr. Thomas Georg Schätzler 23.07.201908:43 Uhr

Notruf 112 (vital bedrohlich) und 116 117 (Vertragsärzte)

Die derzeitige Telefonnummer
des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes 116 117 soll ab 2020 sowohl für Terminvermittlungen als auch für Ersteinschätzungsverfahren über die Dringlichkeit medizinisch notwendiger Untersuchungen und Behandlungen genutzt werden.

Doch mittlerweile wird nicht nur die Fehl-Allokation der Notfall-Rufnummer 112 von den Rettungsdiensten beklagt.

Und das, obwohl die Niedergelassenen (FAfAM, haus- und fachärztliche Internisten, andere Fachrichtungen) keinesfalls Notfall- und Intensivmedizin bei Patienten im präklinisch kritischem Zustand betreiben können. Dafür sind die Rettungsleitstellen und ausschließlich die klinischen Fachrichtungen bzw. Interventionisten zuständig.

Die häufigsten Beratungsanlässe im Zentralen Ärztlichen Notdienst (ZND) sind saisonale Infekte, kardiopulmonale Beschwerden, überwiegend orthopädische Schmerzen, Lungen- und Abdominal-Befund vs. Befindlichkeitsstörungen, funktionelle Befunde, Medikations- und Nebenwirkungs-Fragen bzw. Non-Compliance-bedingte Versorgungsengpässe, Unsicherheiten, verlorene Medikationspläne, Zweitmeinungen und insbesondere bei Jüngeren existenzielle Fragen um tatsächlich vorhandene, vermutete, befürchtete imaginierte oder auch konkret recherchierte Krankheitsentitäten und -Syndrome aus dem Internet (Dr. Google).

Wenn die Björn Steiger Stiftung, die sich bundesweit für die Notfallhilfe einsetzt, betont, es sei richtig, die Notrufnummer 112 und die Nummer 116 117 für den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst „unter einem Dach“ bearbeiten zu lassen, ist m.E. das Chaos perfekt. Denn es ist zu befürchten, dass Tausende von Rat- und Hilfesuchenden mit möglichen Bagatell-Problemen die Versorgung ernsthaft Kranker gefährden, indem sie die Telefon-Leitstellen unangemessen blockieren.

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund (z.Zt. Lysekil/Göteborg/S)

Dr. Uwe Wolfgang Popert 22.07.201922:45 Uhr

Zusatzburokratie

1. Ob die geplanten Massnahmen wirklich die steigende Inanspruchnahme bremsen wird, ist noch völlig unklar - sicher ist dagegen, dass die sMed-Triage viel Zeit und Personal kosten wird. Die einzige international und auch in Deutschland erfolgfeiche Eindämmung unnötiger Inanspruchnahme war die Notfallgebuhr (fur jeden).
2. Die meisten Bundesländer versagen seit Jahren bei der Finanzierung der Krankenhäuser. Warum sollte das beim Notdienst anders sein?

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