Zwangsbehandlung
Ein Gesetz braucht Feinschliff
Wollen Ärzte Zwangsmaßnahmen anordnen, begehen sie momentan eine Gradwanderung. Auf Drängen der Länder hat die Regierung jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt, das ändern soll. Doch an einigen Stellen muss noch die Feile angesetzt werden.
Veröffentlicht:BERLIN. Zwangsbehandlungen von Menschen mit psychischen Erkrankungen sollen als letztes Mittel wieder erlaubt werden. Zu dieser Empfehlung ist die Mehrheit der zehn geladenen Experten bei einer Anhörung am Montag im Rechtsausschuss des Bundestages gelangt.
Den Gesetzentwurf von CDU/CSU und FDP begrüßten die meisten Experten, sahen aber auch noch an einigen Stellen Änderungsbedarf.
Die Koalition will damit eine Gesetzeslücke schließen. Derzeit können Ärzte und Pflegekräfte nur in Notfällen gegen den Willen des Betreuten behandeln. Denn im Juni hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass für ärztliche Zwangsmaßnahmen die rechtlichen Grundlagen fehlen.
Die Gesetze genügten nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts, erklärten die Karlsruher Richter. Bislang waren Zwangsbehandlungen bei einwilligungsunfähigen Patienten in stationären Einrichtungen erlaubt.
Die derzeitige Rechtslage stelle Ärzte, Psychiater und Pflegekräfte im Alltag vor unzumutbare Entscheidungskonflikte.
Entweder sei man mit dem Vorwurf der Körperverletzung oder dem Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung konfrontiert, berichten die beiden Ärztinnen, Dr. Iris Hauth vom St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee und Professor Sabine Herpertz vom Universitätsklinikum Heidelberg, in ihren Stellungnahmen.
In der Vergangenheit habe eine zwangsweise Gabe von Medikamenten gewöhnlich dazu geführt, dass man nach wenigen Tagen wieder mit dem Patienten gemeinsam die Therapie habe planen können, so die Ärztinnen weiter.
Momentan sei die Folge, "dass anstelle bewährter medikamentöser Therapie mechanische Sicherungsmaßnahmen, etwa Isolation oder Fixierung, erfolgen müssen", schreibt Hauth.
Den Gesetzentwurf, der ärztliche Zwangsmaßnahmen wieder unter eng gefassten Voraussetzungen erlauben soll, begrüßten die Ärztinnen daher. Hauth wünscht sich jedoch konkretere Angaben, für den Fall, dass sich Patientenverfügungen und der Wille des einwilligungsunfähigen Patienten widersprechen.
Etliche Lücken im Entwurf
Dieser Punkt sei aus rechtlicher Sicht deutlich genug, sagte Stephan Thomae, Berichterstatter für die FDP-Fraktion im Bundestag, der "Ärzte Zeitung". Entscheidend sei, was der Patient im einwilligungsfähigen Zustand erklärt habe.
Thomae hingegen räumte Änderungsbedarf an anderer Stelle ein, etwa was Dokumentations- und Aufklärungspflicht für Ärzte, Psychiater, Pflegekräfte und Pflegeeinrichtungen betrifft.
Hierzu sei der Gesetzestext bisher womöglich zu knapp formuliert, meint der FDP-Politiker. Vieles, was dazu in der Erklärung stehe, müsse vermutlich noch in den Gesetzestext übertragen werden.
Ähnliches merkten auch einige Experten an. So solle die vorgesehene richterliche Genehmigung der Zwangsmaßnahme auch die Art der Maßnahme und deren Dauer enthalten, regt Leonore Julius vom Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker an.
Sie schlägt wie andere vor, Anzahl, Art und Dauer von ärztlichen Zwangsmaßnahmen künftig zu erfassen und sie etwa im Qualitätsbericht der Einrichtungen zu veröffentlichen.
Bisher kann das Ausmaß von Zwangsbehandlungen nur sehr grob anhand der Zahl der Zwangseinweisungen geschätzt werden. 2011 gab es 55.000 Zwangseinweisungen, gibt das Bundesjustizministerium an.
Der Rechtswissenschaftler Professor Volker Lipp von der Uni Göttingen, der auch Mitglied im Ausschuss für "ethische und medizinisch-juristische Grundsatzfragen" der Bundesärztekammer ist, machte darauf aufmerksam, dass in vielen Punkten des Gesetzentwurfs der Wille des Betreuten noch mehr berücksichtigt werden sollte.
Es sei wichtig, dass Zwangsbehandlungen als ultima ratio zugelassen würden, sagte er vor dem Rechtsausschuss.
Er rät aber, im Entwurf festzuhalten, dass einer ärztlichen Zwangsmaßnahme der "ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Druck erfolgte Versuch vorausgegangen" sein muss, "die (...) Zustimmung des Betreuten zu erlangen".
Zudem müsse die Behandlung auch medizinisch indiziert sein, wenn sie zwangsweise vorgenommen werde. Zu ergänzen sei auch, dass der Betreuer, den früher erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen zu beachten habe.
Wie andere Experten empfiehlt Lipp, dass Gutachter psychiatrisch qualifiziert sein müssen und nicht der behandelnde Arzt sein dürfen - dies fehle bisher im Entwurf.
Gegen jede Zwangsbehandlung sprach sich Ruth Fricke, Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener aus: Für die Betroffenen seien Zwangsmaßnahmen traumatische Erfahrungen.