Heil- und Hilfsmittelversorgung
Gesetzentwurf birgt Überraschungen
Im Entwurf des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes wird die Anbindung der Heilmittel an die Grundlohnsumme gekippt. Auch soll es flächendeckende Modelle zur Blanko-Verordnung geben.
Veröffentlicht:BERLIN. Das Bundesgesundheitsministerium legt beim Wettbewerb in der Heil- und Hilfsmittelbranche eine Kehrtwende hin. Das geht aus dem Referentenentwurf für ein "Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung" hervor, der der "Ärzte Zeitung" vorliegt.
Darin wird ein unter Ministerin Ulla Schmidt eingeführtes ehernes Gesetz aufgeweicht: Seit 2004 ist die Entwicklung der Vergütungen bei Heilmittelerbringern an die Veränderungsrate der Grundlohnsumme gekoppelt. Diese Begrenzung werde für Heilmittel "abgeschafft", heißt es.
"Den Vertragspartnern wird ermöglicht, auch Preisanpassungen oberhalb der Veränderungsrate zu vereinbaren". Der Bruch mit der bisherigen Politik wird zaghaft als "Flexibilisierung im System der Preisfindung" bezeichnet.
Regelung hat zu sinkenden Reallöhnen in der Heilmittelbranche geführt
Die bisherige Regelung hat über Jahre hinweg de facto zu sinkenden Reallöhnen in der Heilmittelbranche geführt. Bislang war ein Aufbohren des Vergütungsdeckels stets mit dem Argument abgelehnt worden, dies würde auch bei anderen Berufsgruppen Begehrlichkeiten wecken.
Für Aufregung in der Kassenszene dürfte die Vorgabe sorgen, dass die Verbände der Kassen in jedem Land Modellprojekte zur sogenannten Blanko-Verordnung auflegen sollen. Bisher gibt es nur für Physiotherapeuten bundesweit zwei Modellprojekte, für die erst Zwischenergebnisse vorliegen.
Das Ministerium verspricht sich davon eine "breitere Informationsgrundlage" dafür, ob diese erprobte Versorgungsform in die Regelversorgung überführt werden soll.
Bei der Blanko-Verordnung bestimmt der Heilmittelerbringer auf Basis einer ärztlichen Verordnung selber über Auswahl, Dauer und Frequenz einer Therapie. Im Extremfall müssen in jedem Land für Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden und Podologen solche Modelle etabliert werden.
Wildwest-Wettbewerb
Bei Hilfsmitteln hat sich - vorangetrieben durch das Wettbewerbsstärkungsgesetz - in den vergangenen Jahren teils ein Wildwest-Wettbewerb etabliert. Jetzt erkennt das BMG, es gebe "Hinweise", dass es bei Ausschreibungen "immer auch zu Qualitätsdefiziten in der Hilfsmittelversorgung kommt".
Entsprechend detailliert sind die Vorgaben, mit denen der Preiswettbewerb gebremst werden soll:
- Der Preis darf nicht mehr das alleinige Zuschlagskriterium sein. Ergänzend werden unter anderem genannt: Qualität, Zweckmäßigkeit, Zugänglichkeit, Kundendienst oder Lieferbedingungen. Die Gewichtung der Qualitätskriterien beim Zuschlag muss mindestens 40 Prozent betragen.
- Kassen sollen die neuen Vorgaben für Leistungserbringer überwachen, auch durch Auffälligkeits- und Stichprobenprüfungen.
- Versicherte sollen größere Wahlrechte erhalten. Kassen müssen auch bei Ausschreibungen die Wahl zwischen verschiedenen mehrkostenfreien Hilfsmitteln gewähren.
- Bis Juli 2018 muss der GKV-Spitzenverband sämtliche Produktgruppen, die sei Juli 2015 nicht mehr aktualisiert wurden, überprüfen. Die über Jahre verschleppte Anpassung der Qualitätskriterien einzelner Gruppen hatte ein Preisdumping befördert.
Das Ministerium schätzt die jährlichen Mehrkosten des Gesetzes für die Kassen auf einen "unteren bis mittleren dreistelligen Millionenbetrag".