Hilfsmittel
Politiker wollen Sparorgien der Kassen untersagen
Bei der Ausschreibung von Hilfsmitteln forcieren etliche Kassen einen Preiswettbewerb, der auf Kosten von Versicherten geht. Gesundheitspolitiker alle Fraktionen wollen die Kassen wieder an die Kandare nehmen.
Veröffentlicht:BERLIN. Bei der Ausschreibung von Hilfsmitteln durch Krankenkassen hat sich nach Meinung von Gesundheitspolitikern ein Wildwest-Wettbewerb breitgemacht. Sie wollen jetzt die Notbremse ziehen.
Ob Inkontinenzhilfen, Badewannenlifter, Schlafapnoegeräte, Rollstühle oder Rollatoren: Seit dem Jahr 2009 haben die Kassen nach Paragraf 127 Absatz 1 SGB V die Möglichkeit, Verträge zur Hilfsmittelversorgung auszuschreiben.
Rein rechtlich sollten die Produkt- und Qualitätsanforderungen von Hilfsmitteln im Hilfsmittelverzeichnis vorgegeben sein, das "regelmäßig" fortzuschreiben ist.
Diesen Begriff hat der GKV-Spitzenverband etwa in der Produktgruppe der Inkontinenzhilfen sehr lax ausgelegt: Die Qualitätskriterien wurden zuletzt 1993 angepasst.
Beschwerden häufen sich
Im Petitionsausschuss oder in Online-Foren häufen sich die Beschwerden über die Hilfsmittelversorgung: Patienten werden unkoordiniert versorgt, weil etwa mehrere Leistungserbringer einzelne Patienten beliefern.
Bringt der Paketbote dann das Produkt, bleibt die gebotene Beratung und Einweisung auf der Strecke. Oft sind die Produkte minderwertig, so dass Patienten für passende Hilfsmittel aufzahlen müssen.
Jetzt ist Gesundheitspolitikern der Kragen geplatzt. Im Gesundheitsausschuss luden sie vergangene Woche Sachverständige zum Rapport - und waren fraktionsübergreifend entsetzt.
Am radikalsten fällen die Forderungen der Fraktion der Linken aus: "Wir fordern die Abschaffung von Hilfsmittelausschreibungen", sagt die Abgeordnete Pia Zimmermann der "Ärzte Zeitung".
Ruf nach besserer Qualitätsüberprüfung
Sie fordert ein Festbetragssystem "und eine bessere Qualitätsüberprüfung, damit minderwertige Ware keinen Eingang in die GKV-Versorgung findet", fordert Zimmermann. Sie beklagt, Versicherte hätten kaum Möglichkeiten, sich zu wehren, wenn sie mit minderwertigen Produkten beliefert werden.
"Die Verträge sind so intransparent, dass nicht einmal klar ist, ob ein Kassenwechsel Verbesserungen mit sich bringt", sagt die Linken-Abgeordnete.
Nicht abschaffen, aber reformieren: Das ist die Botschaft des CDU-Gesundheitspolitikers Dr. Roy Kühne. Alle Akteure hätten begriffen, dass die Rahmenbedingungen der Ausschreibungen überarbeitet werden müssen.
Das Hilfsmittelverzeichnis sei "nicht geeignet, um die Qualität der Versorgung bedarfsgerecht zu steuern", sagte Kühne der "Ärzte Zeitung". Man werde zeitnah diskutieren, wie die Kriterien für die Hilfsmittelversorgung präzisiert werden könnten.
Konkrete Forderungen der SPD
Konkreter liest sich das in einem Positionspapier, das die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Hilde Mattheis vorgelegt hat. Zusammen mit ihren Kolleginnen Martina Stamm-Fibich und Heike Behrens hat sie sieben Forderungen formuliert.
So sollten die Regelungen in Paragraf 139 Absatz 8 SGB V so konkretisiert werden, dass "die individuelle Verordnung von Hilfsmitteln möglich wird." Festnageln will die SPD die Krankenkassen, dass eine qualitätsgesicherte Versorgung mit Hilfsmitteln ohne Aufzahlung sicherstellt.
Versicherte, die etwa eine minderwertige Inkontinenzwindel erhalten haben, mussten die Mehrkosten für ein geeignetes Produkt oft selbst tragen.
Nachbessern will die SPD zudem beim Gebot der wohnortnahen Versorgung, die auch Beratung, Anleitung und Anpassung von Hilfsmitteln umfasst - hier soll Paragraf 127 Absatz 1 SGB V nachjustiert werden.
Schließlich will die SPD nicht mehr erst durch Beschwerden im Petitionsausschuss von Versorgungsmängeln erfahren. Stattdessen soll die Bundesregierung dem Gesundheitsausschuss einen Bericht über die Hilfsmittelversorgung vorlegen.
Grüne gehen eigenen Weg
Die Grünen im Bundestag gehen einen anderen Weg und wollen die Bundesregierung mit einer parlamentarischen Anfrage zwingen, Farbe zu bekennen.
Bei den 38 Fragen stehen die Qualität der Versorgung, die Genehmigungspraxis der Kassen und Dumpingpreise in Folge von Ausschreibungen im Fokus.
Kassen, die in diesem Sektor besonders aktiv sind, zeigten bisher "zu wenig Einsicht in die Problemlagen der Patienten".
Der Status quo bei Hilfsmittelausschreibungen, das lassen die Aktivitäten der Bundestags-Fraktionen erkennen, wird keinen Bestand haben.