Psychiatrie-Gesetz in Bayern

Psychisch Kranke als Gefahr?

Die Kritik von Fachleuten am geplanten Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz im Freistaat fällt vernichtend aus. Experten kritisieren: Psychisch Kranke werden stigmatisiert!

Von Julika Sandt Veröffentlicht:
Experten warnen, das geplante Psychiatrie-Gesetz werde weniger und nicht mehr Sicherheit für die Bürger bringen.

Experten warnen, das geplante Psychiatrie-Gesetz werde weniger und nicht mehr Sicherheit für die Bürger bringen.

© Armin Weigel / dpa / picture-alliance

MÜNCHEN. Der Entwurf für ein Bayerisches Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz, den die Staatsregierung vorgelegt hat, steht im Kreuzfeuer der Kritik.

Obwohl das Gesundheitsministerium im Vorfeld einen runden Tisch eingerichtet hatte, um die Neuregelung mit Experten sowie Psychiatrie-Erfahrenen zu diskutieren, "ist kaum etwas von deren Vorschlägen in den Gesetzentwurf eingeflossen", bemängelt Dr. Nikolaus Melcop, Präsident der Bayerischen Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (PTK).

Anregungen zur Weiterentwicklung der Versorgung, zu Prävention oder Psychiatrieberichterstattung seien in den Wind geschlagen worden.

Nach Einschätzung der Organisationen, die mit der Behandlung und Begleitung von psychisch kranken Menschen befasst sind, stellen nur die geplanten Krisendienste in allen bayerischen Bezirken einen Fortschritt dar.

Fokus auf Hilfe? Mitnichten!

Weite Teile des Entwurfes behandeln die öffentlich-rechtliche Unterbringung. Auf eine breite Ablehnung stößt, dass psychisch kranke Menschen in erster Linie als potenzielle Straftäter angesehen werden und nicht als Patienten.

"Wir kritisieren, dass der Fokus auf Hilfe, der im Namen des Gesetzes steht, sich nicht im Inhalt und auch nicht in der Gewichtung von Hilfe- und Unterbringungsteil niederschlägt", teilt der Landesverband Psychiatrie-Erfahrener mit.

Und Karl Heinz Möhrmann, Vorsitzender des Landesverbandes Bayern der Angehörigen Psychisch Kranker, rügt: "Der Gesetzentwurf vermischt die Behandlung von in einer Krise befindlichen psychisch erkrankten Menschen in einer allgemeinpsychiatrischen Klinik mit der längerfristigen Unterbringung psychisch kranker Straftäter im Maßregelvollzug."

Dass der Gesetzentwurf den Belangen von Menschen in Krisen mit kurzen Verweildauern nicht gerecht wird, kritisiert auch Dr. Claudia Ritter-Rupp.

Die zweite stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KV Bayerns (KVB) warnt, durch das geplante Gesetz könnten psychisch kranke Menschen als potenzielle Gefahr für die Allgemeinheit eingeschätzt werden.

Deren Stigmatisierung würde durch das geplante Gesetz verstärkt und nicht vermindert. Auch würden die besonderen Versorgungsbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen nicht ausreichend berücksichtigt.

Weniger Sicherheit für Bürger

Dr. Albert Putzhammer, Vorsitzender der Konferenz der Ärztlichen Direktoren der bayerischen Fachkrankenhäuser für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, resümiert, der Entwurf schaffe nicht mehr, sondern weniger Sicherheit für die Bürger.

"Denn durch eine verstärkte Stigmatisierung psychisch kranker Menschen als potenziell kriminell werden diese davon abgehalten, sich frühzeitig professionelle Hilfe zu suchen", sagte Putzhammer der "Ärzte Zeitung".

Er fürchtet, dass psychiatrische Kliniken Verwahranstalten für "Gefährder" mit undefinierten "psychischen Störungen" werden. Eine Unterbringung könne in Zukunft sogar dann erfolgen, wenn die Selbstbestimmungsfähigkeit des Betroffenen nicht krankheitsbedingt eingeschränkt ist.

Ein weiterer Kritikpunkt ist der Datenschutz: Die Regierung beabsichtigt, dass Patientendaten inklusive Diagnosen an die Aufsichtsbehörde übermittelt und dort in einer zentralen Unterbringungsdatei fünf Jahre gespeichert werden.

Datenweitergabe an die Polizei

Die Fachaufsicht darf diese Daten an Polizei und Behörden weitergeben und zu vielfältigen Zwecken verarbeiten.

"Insbesondere die Zugriffsmöglichkeiten durch andere Behörden und die Speicherfrist sind nicht tragbar und stellen einen extrem unverhältnismäßigen Eingriff in Persönlichkeitsrechte dar, der im Sinne der Gefahrenabwehr keinerlei Effekt hat", sagt Michael Bammessel, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege Bayern.

Sogar der CSU-geführte bayerische Bezirketag hält mit seiner Kritik nicht hinter dem Berg: Die Ziele der Unterbringung seien "fast noch schlechter als bisher" geregelt: In dem neuen Entwurf diene sogar die Heilung eines Patienten nicht mehr dem Ziel, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, sondern allein der Gefahrenabwehr.

In Bayern wird die psychiatrische Versorgung von den Bezirken und der KVB sichergestellt. Der Gesetzentwurf soll das bayerische Unterbringungsgesetz aus dem Jahr 1992 ablösen.

Notwendig geworden war dies aufgrund der hohen Zahl gerichtlicher Unterbringungen psychisch kranker Menschen in Bayern, der UN-Behindertenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Selbstbestimmung psychisch kranker Menschen.

Dabei hebelt die Vorlage wesentliche Grundrechte aus. Im Entwurf steht wörtlich: "Aufgrund dieses Gesetzes können die Grundrechte auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person, das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das Elternrecht, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, die Freizügigkeit sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung eingeschränkt werden."

In Kraft treten sollen die Regelungen zur Unterbringung und zu den Präventionsstellen zum 1. Januar 2019. Die Paragrafen zur Unterbringungs- und Maßregelvollzugsdatei erst zwei Jahre später.

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