DVG verabschiedet

Schluss mit „Zettelwirtschaft“ in Arztpraxen

Der Bundestag hat den Weg frei gemacht für mehr Digitalisierung im Gesundheitswesen. Das „Digitale-Versorgung-Gesetz“ (DVG) ermöglicht es Ärzten, medizinische Apps auf Kassenkosten zu verordnen – doch nicht nur das.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Der Plenarsaal des Deutschen Bundestages: Die Abgeordneten stimmten mehrheitlich für das DVG, das das Gesundheitswesen digitaler machen soll.

Der Plenarsaal des Deutschen Bundestages: Die Abgeordneten stimmten mehrheitlich für das DVG, das das Gesundheitswesen digitaler machen soll.

© Christoph Soeder/dpa

Berlin. Mit den Stimmen der Koalition hat der Bundestag am Donnerstag das „Digitale-Versorgung-Gesetz“ (DVG) verabschiedet. Das Gesetz sieht vor, dass Ärzte Patienten künftig Gesundheits-Apps auf Kassenkosten verschreiben können. Auch soll es mehr Angebote zu Online-Sprechstunden geben.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte in seiner Rede (siehe nachfolgenden Tweet), digitale Lösungen könnten den Patientenalltag „konkret“ verbessern. „Wir werden sicherstellen, dass das Apps sind etwa für Menschen mit Diabetes, mit Bluthochdruck, die tatsächlich für die Behandlung wie ein Arzneimittel einen Unterschied machen.“ Deutschland sei „das erste Land“, in dem digitale Anwendungen verschrieben werden könnten.

Grüne und Linke lehnten den Gesetzentwurf ab, AfD und FDP enthielten sich.

BfArM soll die Apps prüfen

Damit Patienten „gute und sichere Apps“ schnell nutzen können, wird für Hersteller ein zügiger Weg in die Erstattung geebnet: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) soll Sicherheit, Funktion, Qualität, Datenschutz und Datensicherheit der Produkte prüfen.

Binnen eines Jahres muss der Hersteller nachweisen, dass die betreffende App die Versorgung verbessert.

Grüne: Finanzspritze für Start-ups

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, kritisierte, die geplanten Apps auf Kassenkosten seien eine Finanzspritze für Start-ups. Ihren konkreten Nutzen für die Patienten blieben die Anwendungen schuldig.

„Es kann nicht sein, dass wir Verfahren schon vorab zulassen und in die Versorgung bringen, die diesen Nutzen noch nicht erwiesen haben“, sagte Klein-Schmeink in der Parlamentsdebatte.

Mit dem Gesetz werden die Kassen zudem angehalten, Angebote zur Förderung „digitaler Gesundheitskompetenz“ vorzuhalten. Versicherte sollen sich so im Umgang etwa mit Gesundheits-Apps oder der ab 2021 geplanten elektronischen Patientenakte schulen lassen.

Anschluss an die Telematikinfrastruktur

Ärzte sowie weitere Leistungserbringer sollen sich außerdem möglichst rasch an die Telematikinfrastruktur (TI) anschließen. Apotheken müssen bis Ende September 2020 und Kliniken bis Januar 2021 an die TI angedockt sein.

Für Ärzte, die sich weiterhin nicht der TI anschließen, wird der Honorarabzug von bisher einem auf 2,5 Prozent ab März 2020 erhöht. Hebammen und Physiotherapeuten sowie Pflegeeinrichtungen können sich freiwillig an die TI anschließen. Die Kosten hierfür sollen ihnen erstattet werden.

Schluss machen will das Gesetz auch mit der „Zettelwirtschaft“ in Praxen. Bislang erhalten Ärzte etwa für ein versendetes Fax mehr Geld als für das Versenden eines elektronischen Arztbriefs. Die gemeinsame Selbstverwaltung erhält nunmehr den Auftrag, das zu ändern. Außerdem sollen Ärzte mehr Möglichkeiten erhalten, um sich auf elektronischem Weg auszutauschen.

Pool mit Daten von Kassenpatienten

Um mehr Erkenntnisse über Krankheiten zu gewinnen, sollen die bei den Kassen vorliegenden Abrechnungsdaten, sogenannte Routinedaten, in einem Forschungsdatenzentrum pseudonymisiert zusammengetragen und der Forschung auf Antrag über anonymisierte Ergebnisse zugänglich gemacht werden.

Damit könnten der Wissenschaft „in einem geschützten Raum“ mehr Informationen bereitgestellt werden, betonte das Gesundheitsministerium. Die AfD monierte, die Daten seien nicht hinreichend geschützt. Jedwede Speicherung von Daten müsse für die Versicherten freiwillig bleiben.

Auch die FDP hob das Recht auf „informelle Selbstbestimmung“ hervor. Dieses müsse „in jedem Fall garantiert sein“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion, Christine Aschenberg-Dugnus. „Das müssen wir den Versicherten draußen versprechen.“

Bundesrat muss nicht zustimmen

Die SPD-Politiker Dirk Heidenblut und Bärbel Bas betonten dagegen, im Gesetz sei klargestellt, dass Kassen ihre Abrechnungsdaten pseudonymisiert an den GKV-Spitzenverband lieferten. Dieser leite die Daten an das Forschungsdatenzentrum beim BfArM weiter. „Von dort werden die Daten anonymisiert und aggregiert an gesetzlich klar definierte Forschungseinrichtungen wie Hochschulen, Unikliniken oder Instituten wie dem IQWiG weitergereicht.“

Der Bundesrat muss dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Das Gesetz soll 2020 in Kraft treten.

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Kommentare
Dr. Schätzler 08.11.201911:28 Uhr

Wir sollten uns nicht ver"APP"eln lassen!
Der gesundheitspolitischen Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, gebe ich Recht. Ohne prospektive, randomisierte und kontrollierte Studien (RCT) sind geplanten Apps auf Kassenkosten auf die Schnelle medizinisch gar nicht validierte, dafür aber umso trendig-modische Accessoires für "Digital Natives", aber nicht für unsere i.d.R. älteren Patientinnen und Patienten geeignet. Apps sind nur Finanzhilfen für Start-up-Unternehmen, die deren konkreten Nutzen gar nicht nachweisen wollen oder können.
Ein Bundesgesundheitsminister, dem bei "Arzt geht auch digital" als Beispiel nur noch einfällt: "Wenn der Arzt, der morgens um sechs in Lübeck sagt, ich habe gerade Zeit, bevor ich die Kinder zur Schule bringe, ein, zwei Stunden ärztliches Angebot zu machen, und jemand in München gerade morgens um sechs den Bedarf hat zum ärztlichen Gespräch“, belegt seine krasse Unkenntnis, worum es in der Medizin mit ihren Krankheitsentitäten eigentlich geht.

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