Arbeitsalltag als MFA

"Nicht klagen - genießen!"

Andrea Schreiter ist Medizinische Fachangestellte (MFA) aus Leidenschaft. Die Mitarbeiterin einer Pforzheimer Hausarztpraxis schwört auf DMP, Hausarztverträge und Modell-Projekte wie PraCMan. Sie findet: Alle profitieren davon - ganz besonders die MFA.

Von Marion Lisson Veröffentlicht:
Andrea Schreiter begann ihre Karriere als MFA vor 36 Jahren.

Andrea Schreiter begann ihre Karriere als MFA vor 36 Jahren.

© Marion Lisson

PFORZHEIM. Die Mittagspause in der Pforzheimer Hausarztpraxis ist vorbei. Andrea Schreiter steht am Empfang und telefoniert.

"Ich suche einen Arzt, der am Wochenende in der Notfallpraxis in der Siloah Klinik einspringen kann", informiert sie kurz. Schreiters Haar ist noch feucht. Ihre Mittagszeit hat sie im städtischen Schwimmbad verbracht. Hier zieht sie für gewöhnlich ihre 20 Bahnen à 50 Meter.

"Das Leben genießen, jeden Moment nutzen", lautet die Devise der 53-jährigen Medizinischen Fachangestellten (MFA), die neben ihrem Vollzeitjob in der Praxis noch drei Notfallpraxen und deren Dienstpläne managt.

Sich zum zweistündigen Mittagsschläfchen hinlegen und mit zerknautschtem Gesicht wieder in die Praxis schleppen - nein, das ist nicht ihr Ding. "Klar sind unsere Arbeitszeiten blöd. Wer braucht schon eine dreistündige Mittagspause?" Schreiters Tipp an die Kolleginnen: "Nicht klagen - genießen!"

Angetan von VERAH

Seit dem Jahr 2000 arbeitet Schreiter in der Pforzheimer Gemeinschaftspraxis von Dr. Peter Engeser und Dr. Gabriele Schächinger. Das ist gerade besonders spannend: "In den letzten zehn Jahren hat sich in der Hausarztmedizin mit den DMP und den Hausarztverträgen enorm viel verändert. Als MFA dürfen wir viel mehr machen als früher", sagt sie.

Besonders VERAH hat es ihr angetan. In Baden-Württemberg soll die Versorgungsassistentin VERAH ab dem dritten Quartal 2014 das Case-Management für mehrfach chronisch kranke AOK-Patienten übernehmen - auch Hausbesuche gehören zu ihrem Job.Diese Arbeitsteilung mit dem Arzt hat sich im Modellversuch PraCMan bereits bewährt.

Schreiter hat sich bereits 2008 als VERAH ausbilden lassen. "Ich freue mich jetzt schon. Dann dürfen wir endlich wieder medizinisch unterwegs sein", empfiehlt sie ihren Kolleginnen, es ihr gleichzutun.

Vor 36 Jahren, nämlich 1978, startete Schreiter mit ihrer Arzthelferinnen-Ausbildung. Genauso lange lebt die gebürtige Leipzigerin schon in Pforzheim. Sie ist jemand der gerne Klartext spricht - vor Kolleginnen und Ärzten gleichermaßen. Vor wenigen Tagen wurde sie beim Tag der Allgemeinmedizin in Heidelberg ausgezeichnet.

Zum 14. Mal trat sie hier als Referentin an. Im Job zufrieden zu sein, selbst aktiv zu werden, ist für Schreiter wichtig. "Das gleiche gilt in der Freizeit. Die muss nicht zu kurz kommen", findet Schreiter, die pro Tag 1,5 Stunden Sport macht und von Zirkeltraining, Pilates, langen Hundespaziergängen und vom Schwimmen schwärmt.

Zuckerschlecken Fehlanzeige

Schreiter weiß, dass nicht jede MFA so arbeiten und leben will wie sie. "Viele meiner Kolleginnen gehen zur Arbeit, weil sie es müssen, um Geld zu verdienen. Von Spaß an der Arbeit und Engagement ist hier nicht die Rede", bedauert sie. Als Referentin versucht Schreiter, bei ihren Workshops gegenzusteuern.

Dass nicht jeder Moment in der Praxis ein Zuckerschlecken ist, weiß sie dabei selbst: "Bei uns in der Region Pforzheim haben fünf Hausarztpraxen zugemacht, da gibt es schon Tage, an denen sich die Patienten gegenseitig die Klinke in die Hand geben und wir nicht mehr wissen, wie wir das Chaos aufhalten sollen", gibt sie zu.

Ihre Geheimwaffe für solche Momente: Humor, eine Portion guter Stimmung und ein Quantum an Ironie! Ihr Albtraum: Zickereien unter den Kolleginnen.

"Das bringt nix", sagt sie und rollt die Augen. Sehr viel dagegen hält die Praxismitarbeiterin von Fort- und Weiterbildungen. "Das macht im Umgang mit Patienten mutig und sicher", findet sie und empfiehlt Themen wie Diabetes, KHK, COPD und Asthma.

Schreiter selbst ist ausgebildete Diabetesassistentin sowie Diät- und Ernährungsberaterin. Nach ihren Fortbildungen zum Thema Praxismanagement und Palliativmedizin ließ sich die Mutter eines 26-jährigen Sohnes 2012 auch als Qualitätszirkel-Moderatorin für den Hausärzteverband ausbilden.

Chancen zu nutzen ist für sie selbstverständlich. "Ich kann nicht verstehen, dass es immer noch niedergelassene Ärzte gibt, die sich Haus- und Facharztverträgen verweigern, aber sich im gleichen Atemzug beklagen, dass sie ihre Angestellten im Gehalt abstufen müssen", fasst Schreiter zusammen.

Hausarztverträge und PraCMan sind aus ihrer Sicht für das gesamte Praxisteam eine riesige Chance, eine gute Medizin anbieten und eine faire Honorierung erhalten zu können.

"Männern fehlen einfach die Worte"

Angesprochen auf ihr eigenes Gehalt, zeigt sich die Praxisangestellte zufrieden, grundsätzlich hält sie die tarifliche Entlohnung für MFA aber für zu niedrig: "Damit könnte kein Mann eine Familie ernähren", kritisiert sie und fügt zugleich lachend hinzu: Dass der Job der MFA ein klassischer Frauenjob ist, lasse sich noch aus einer andern Sicht einfach erklären.

"Männern fehlen einfach die Worte, die Patienten gerne hören - Männer sprechen ja nur 5000 Silben am Tag, Frauen dagegen 25.000."

Doch dann wird sie wieder ernst. Ihr Thema: die Palliativmedizin. Schreiter begleitet Hausarzt Dr. Peter Engeser stets auf seinen palliativmedizinischen Hausbesuchen. "Hier brauchen Schwerstkranke und ihre Familien Unterstützung, ein einfühlsames empathisches Händchen, ein gutes medizinisches Wissen und das Gefühl, nicht allein zu sein", fasst sie zusammen.

Manches Schicksal geht ihr an die Substanz. Schreiter nennt zum Beispiel den Fall eines Patienten mit einem Pankreaskarzinom. Dieser sei schneller gestorben als erwartet. Dass sie sich nicht mehr von ihm verabschieden konnte, bedauert sie bis heute.

"Grundsätzlich gilt für mich: Eine MFA sollte in erster Linie den Willen haben, kranken Menschen zu helfen und sich einfühlsam zu zeigen. Introvertierte Frauen sind hier sicherlich fehl am Platz", fasst sie zusammen, während sie erneut den Telefonhörer in die Hand nimmt.

Wenige Minuten später hat sie eine Ärztin an der Strippe, die bereit ist, den noch offenen Dienst in der Pforzheimer Notfallpraxis zu übernehmen. Schreiter ist zufrieden, der Dienstplan wieder vollständig.

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