FORTA-Konzept

So sieht eine maßvolle Therapie für alte Diabetiker aus

Die Diabetes-Einstellung bei geriatrischen Patienten folgt anderen Gesetzen als bei jüngeren. Die FORTA-Liste kann dabei helfen.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Mit dem Konzept FORTA lassen sich Medikationsfehler bei alten Typ-2-Diabetikern vermeiden.

Mit dem Konzept FORTA lassen sich Medikationsfehler bei alten Typ-2-Diabetikern vermeiden.

© Jeff Baumgart/stock.adobe.com

NEU-ISENBURG. Bei einem hochbetagten, funktionell eingeschränkten Diabetes-kranken Menschen, multimorbide und sturzgefährdet, muss differenziert an die Einstellung des Typ-2-Diabetes herangegangen werden. "Da bewege ich mich eher nicht in einem HbA1c-Korridor", erklärt Privatdozent Dr. Andrej Zeyfang aus der Medius Klinik Ostfildern-Ruit. Denn: "Oberste Priorität hat es, schwere Hypoglykämien zu vermeiden, aber auch chronische Hyperglykämien", betont der Geriater und Diabetologe. Denn beides hat erheblichen Einfluss auf das Nachlassen der kognitiven Leistungsfähigkeit und weitere Aspekte der Lebensqualität. Mit dem Konzept FORTA (Fit-for-the-aged) lassen sich Medikationsfehler bei alten Typ-2-Diabetes-Patienten vermeiden.

Zeyfang hat das FORTA-Konzept mit entwickelt, das von dem Heidelberger Pharmakologen Professor Martin Wehling initiiert worden ist. Mit der FORTA-Positiv-/Negativliste, in der sich auch Antidiabetika finden, können sowohl potenziell schädliche Medikamente identifiziert, als auch Untertherapien vermieden werden. Indikationsbezogen werden 273 Medikamente in eine von vier Gruppen klassifiziert: A-Medikamente sind demnach unverzichtbar für geriatrische Patienten mit entsprechenden Krankheiten ("Absolutely"), auch B-Medikamente sind vorteilhaft ("Benefit"). C-Arzneimittel sind dagegen kritisch zu sehen und sollten nur ausnahmsweise verordnet werden. "D" schließlich steht für "Don't!", diese Mittel sind kontraindiziert.

Bei den oralen Antidiabetika haben nur DPP4-Hemmer eine A-Bewertung erhalten, GLP-1- und Insulin-Analoga sowie Metformin ein "B". Wobei Metformin in den Expertendiskussionen nur knapp am "A" vorbeigeschrammt sei, so Zeyfang. Zumal es nun selbst bei eingeschränkter Nierenfunktion mit einer GFR (glomeruläre Filtrationsrate) von bis zu 30 ml / min / 1,73 m2 eingesetzt werden darf. In der FORTA-Liste, Stand 2015, ist noch eine GFR von mindestens 45 ml / min / 1,73 m2 angegeben.

Für die DPP4-Hemmer spricht das wirkmechanismusbedingt geringe Hypoglykämierisiko. Auch können sie bei schwerer Nierenfunktionsstörung noch angewendet werden. Gerade aus geriatrischer Sicht wichtig: Es ist eine kleine Tablette und es treten keine gastrointestinalen Nebenwirkungen auf, wie das unter Metformin vorkommt. GLP-1-Analoga haben ein "B" erhalten, müssen aber bei hochgradiger Niereninsuffizienz vermieden werden. Langwirksame GLP-1-Analoga vereinfachen die Therapie und wirken bevorzugt auf den Nüchternblutzucker.

Immerhin noch ein "C" haben Sulfonylharnstoffe der 3. Generation geschafft. Doch insgesamt treten damit bei alten Menschen mehr negative Ereignisse auf als dass ein Gesundheitsgewinn erzielt werden könnte. Zeyfangs Erfahrung: "Schwere Hypoglykämien entstehen erfahrungsgemäß dann, wenn die alten Sulfonylharnstoffe eingenommen werden, obwohl aus anderen Gründen nichts gegessen wird." Er würde geriatrischen Patienten generell keine Sulfonylharnstoffe mehr geben.

Auch Acarbose erhielt nur die "C"-Bewertung: zu wenig Wirksamkeit, zu häufige Nebenwirkungen. "Alten Menschen fällt es schwer, sich an medikamentenspezifische Einnahmemodalitäten anzupassen", erklärt der Geriater. "Das Einnehmen vor der Mahlzeit mit dem ersten Bissen, das ist er nicht gewohnt." Üblicherweise nehmen Patienten Medikamente nach dem Essen bei vollem Magen. "Und da bewirkt Acarbose natürlich gar nichts." Der unter Umständen ausgeprägte Meteorismus ist ebenfalls nicht hilfreich.

Einen hohen Stellenwert in der Geriatrie hat dagegen Insulin, unter anderem weil es ein anabol wirkendes Hormon ist. "Ungewollte Gewichtsabnahme bei schlecht eingestelltem Diabetes – da ist Insulin sehr effektiv", sagt Zeyfang. Mancher Geriater fängt mit "symbolischen" 4 Einheiten eines langwirksamen Insulins an, um so allmählich den Weg in die Insulintherapie zu bereiten. Auf diese Weise fällt es Patienten und Pflegepersonal leichter, später häufiger Insulin einzusetzen, wenn erforderlich. Und das Gewicht kann zumindest gehalten werden.

FORTA-Liste:

Die aktuelle FORTA-Liste ist auf der Homepage der Uni Heidelberg als PDF-Datei sowie als kostenlose App für Android- und Apple-Geräte verfügbar.

Weitere Informationen: https://www.umm.uni-heidelberg.de/ag/forta/

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