Die Konfliktfelder

Baustelle Medizinbetrieb: Die heißen Eisen

Ordnung halten für eine Branche mit 4,5 Millionen Beschäftigten, 250 Milliarden Euro Umsatz und ausgeprägtem Zunft- und Lobbywesen. Zu den Eigenschaften, die ein Gesundheitsminister braucht, gehört Konfliktfähigkeit - und die Fähigkeit, widerstreitende Interessen auszugleichen. Diplomat und Dompteur im Minenfeld - schafft das Philipp Rösler?

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

Das Ziel ist ambitioniert und wird zumindest von führenden Ökonomen befürwortet: die Finanzierung des Gesundheitswesens von den Arbeitseinkommen abzukoppeln. Philipp Rösler hat die im Koalitionsvertrag vereinbarte Aufgabe, schrittweise eine einkommensunabhängige Prämie durchzusetzen. Der Solidarausgleich soll ins Steuersystem verlagert werden. Die Gegner sitzen nicht nur in der Opposition, sondern - viel gefährlicher! - im eigenen Lager. Es sind vor allem die strukturkonservative Riege der Unions-Sozialpolitiker und die zwei wichtigsten Ministerpräsidenten Horst Seehofer und Jürgen Rüttgers, die sich gegen Reformen stemmen. Das größte Hindernis liegt in der Sache selbst: die Steuerfinanzierung. Darüber bestimmt der wichtigste Mann nach Merkel, Finanzminister Wolfgang Schäuble. Sein Job: Konsolidierung.

Gesundheitsberufe

Das Gesundheitswesen in Deutschland ist arztzentriert und arztdominiert - anders als in anderen Ländern. So soll es im Prinzip auch bleiben, meint die zuständige Bundesärztekammer: Delegation ärztlicher Aufgaben unter ärztlicher Aufsicht ja - aber nicht mehr Eigenständigkeit und Verantwortung für Pflegeberufe. Die streben jedoch - nach einer sukzessive wissenschaftlichen Unterfütterung ihrer Profession die Emanzipation von der Medizin an. Eine der Forderungen: eine eigene Selbstverwaltung, wie sie die Ärzte haben. Und eine bessere Definition des Berufsbildes. Mit Warnungen vor drohendem Medizinermangel liefern die Ärzteorganisationen gute Argumente dafür, die Kompetenzen nichtärztlicher Gesundheitsberufe zu erweitern. Der Streit um die Claims bei der Arbeit an Patienten ist eröffnet - Rösler dabei mehr als Schiedsrichter.

Morbi-RSA

Gerade eingeführt, soll der Morbi-RSA wieder auf den Prüfstand kommen. Die Ziele sind, Missbrauchsmöglichkeiten zu beseitigen und bürokratischen Aufwand zu reduzieren. Hehre Ziele. Sobald allerdings das Reformfass aufgemacht wird, kommen die wahren Absichten ans Tageslicht: Geldbeschaffung, Umverteilung. Der Morbi-RSA ist ein Verteilungsinstrument - von armen zu reichen Ländern, von Kassen mit gesunden zu Kassen mit kränkeren Versicherten. Diese Solidarität stellt Bayern am deutlichsten in Frage. Baden-Württemberg segelt im bayerischen Windschatten, ebenso Hessen. Rösler könnte versucht sein, gerade jenen Regionen zu geben, in denen seine Partei stark verankert ist. Cave: Klientelpolitik! Folgewirkungen sind auch für Vertragsärzte möglich, wenn das Honorar stärker regional bestimmt wird.

Struktur/Wettbewerb

Gerade die FDP steht für einen von Liberalität und Wettbewerb geprägten Ordnungsrahmen für die Wirtschaft. Auf das Gesundheitswesen will sie das jedoch nicht übertragen. Apotheker bleiben vor Wettbewerb geschützt, MVZ sollen Domäne der Vertragsärzte sein. Die Rolle der KVen (als Quasi-Monopole) wird nicht angetastet, aber für die hausärztliche Versorgung bekommt der Hausärzteverband ein Recht auf Kontrahierungszwang - ähnlich wie für KV-Kollektivverträge. Für Krankenkassen soll das Kartell- und Wettbewerbsrecht eingeführt werden - aber zur Rolle und Aufgabe des GKV-Spitzenverbandes und insbesondere zum wichtigsten Steuerungsinstrument in der Kassenmedizin, dem Gemeinsamen Bundesausschuss, hat die Gesundheitspolitik keine erkennbare Position. Ein Start im Nebel für Philipp Rösler.

Pflege-Riester

Keine Sozialversicherungssäule ist so demografieabhängig wie die Pflegeversicherung. Schlussfolgerung für Schwarz-Gelb: Aufbau eines Kapitalstocks als Ergänzung. Doch das Projekt, das Philipp Rösler nun angehen muss, ist voller Tücke: Erstens muss der aufzubauende Kapitalstock vor dem Zugriff des Staates geschützt werden. Ferner ergeben sich Verteilungs- und Gerechtigkeitsprobleme: Sollen auch heute ältere und pflegenahe Jahrgänge zu Beitragszahlungen in den Kapitalstock gezwungen werden, obwohl sie nicht mehr davon profitieren können? Sollen die Beiträge nach Einkommen gestaffelt oder als Pauschale erhoben werden? Soll es möglicherweise eine steuerliche Förderung nach dem Vorbild der Riester-Rente geben? Und wie soll das finanziert werden? Die Vorgaben des Koalitionsvertrags gleichen der Quadratur des Kreises.

Arzneimittel

Bei jeder politischen Aktion in der Arzneiversorgung steht der FDP- Minister Rösler unter dem Generalverdacht der Klientelpolitik zugunsten von Pharma-Industrie und Apotheker. Jüngstes Beispiel: die Nichtverlängerung des Arbeitsvertrags von IQWiG-Chef Peter Sawicki. Oder auch die generelle Ankündigung im Koalitionsvertrag, die Arbeitsweise des IQWiG zu überprüfen. Einerseits stehen die Liberalen für einen wettbewerblichen Ordnungsrahmen - unter diesem Gesichtspunkt müssten sie dezentrale Verhandlungen zwischen Firmen und Kassen stärken -, dagegen steht aber das Interesse der Pharma-Unternehmen, dass ihre Innovationen mit autonom gesetzten Preisen sofort erstattungsfähig sind. Im Wettbewerbsmodell müssten die Kassen ihr Monopol (Spitzenverband) aufgeben. Fazit: Ärger mit allen ist programmiert.

GOÄ-Reform

Sie ist seit Jahren überfällig und wird von Ärzten wie von privater Krankenversicherung gleichermaßen gefordert: eine grundlegende Reform der privaten Gebührenordnung (GOÄ). Aber Ärzte und PKV verbinden damit unvereinbare Zielsetzungen: den Ärzten kommt es auf eine Modernisierung des Leistungsverzeichnisses und auf Honorarerhöhungen an. Die PKV verfolgt drei Ziele: Absenkung des Honorarniveaus, Instrumente zur Begrenzung des Kostenanstiegs und ein Recht auf selektives Kontrahieren. Dagegen laufen Bundesärzte- und Bundeszahnärztekammer Sturm. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) war das Schicksal der PKV egal - mochte sie doch an ihrer Ausgabenentwicklung ersticken. Philipp Rösler (FDP) will die PKV erhalten - dann muss sie zur GKV konkurrenzfähig bleiben. Mit Einschnitten beim Privathonorar?

Honorarpolitik

Die letzte Honorarreform hat zu viel Zentralismus und noch mehr Komplexität geführt. Verständlich ist das System nicht mehr. Aber: Das Honorar orientiert sich an Morbidität, es ist global binnen drei Jahren um fünf Milliarden Euro gestiegen, und Regionen mit einst schlechter bezahlten Ärzten haben aufgeholt. Die Fallgruben: Bei jeder Revision bricht der Streit zwischen Zentralismus oder Regionalität wieder auf. Reiche KVen (Bayern, Baden-Württemberg) bringen sich gegen arme in Stellung. Der Zwist der Fachgruppen wird in die Politik getragen. Eine erneute Reform wird die Krankenkassen veranlassen, das noch junge Prinzip der Morbiditätsorientierung in Frage zu stellen. Am liebsten würden die Kassen wieder zum alten Budgetdeckel zurückkehren. Was tun, wenn das Geld in der GKV - nicht zuletzt durch die Finanzkrise - sehr knapp wird?

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