Bei Kindesmisshandlung soll die Schweigepflicht gelockert werden

Der Entwurf des Kinderschutzgesetzes verspricht Ärzten Klarheit bei der Informationsweitergabe an das Jugendamt. Pädiater haben aber weiterhin schwere Bedenken gegen die Pläne des Familienministeriums.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Angst vor der drohenden Hand. Ärzte sind oft die ersten, die Verdacht schöpfen.

Angst vor der drohenden Hand. Ärzte sind oft die ersten, die Verdacht schöpfen.

© Schöning/imago

BERLIN. Der aktuelle Entwurf des Bundeskinderschutzgesetzes lockert die ärztliche Schweigepflicht bei Verdacht auf Kindesmisshandlung. Den Jugendämtern dürften Ärzte künftig einen Verdacht mitteilen, würde der Entwurf Gesetz.

Dazu wären sie ausdrücklich befugt. Die Autoren des Gesetzestextes versprechen Ärzten dafür "größere Handlungssicherheit".

In solchen Fällen sei ein "Rückgriff auf die allgemeinen strafrechtlichen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe entbehrlich", haben sie in die Begründung geschrieben. Eine bundeseinheitliche Norm solle dies noch präzisieren.

Deutsches Kinderhilfswerk ist nicht glücklich über geplante Regelung

Ärzte und das Deutsche Kinderhilfswerk sind über die geplante Regelung gar nicht glücklich. Die Schweigepflicht dürfen Ärzte nämlich ausschließlich gegenüber den Jugendämtern brechen. Das ist für den Präsidenten des Berufsverbandes der Kinder und Jugendärzte, Dr. Wolfram Hartmann, nicht akzeptabel.

"Es gibt Ämter, die unprofessionell und unsensibel handeln", hält Hartmann, gegenüber der "Ärzte Zeitung" mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Manche ständen in dem Ruf, Kinder schnell aus den Familien zu entfernen. Andere täten wider besseren Wissens nichts.

Eine Rückkopplung zwischen Jugendamt und Arztpraxis und damit das wichtigste Element der Qualitätssicherung sei erst gar nicht vorgesehen.

Mehr als nur Kommunikationskanal sein

Die Pädiater wollen mehr als nur den einen Kommunikationskanal zwischen Arztpraxis und Jugendamt. Vertragsärzte und andere Geheimnisträger zum Beispiel aus der Sozialarbeit sollten sich bei einem "Bauchgefühl" kurz schließen dürfen, wünscht sich Hartmann.

So ließe sich klären, ob andere Ärzte, Lehrer, Drogenberater, Familientherapeuten und andere Helfer eventuell einen vagen Verdacht bestätigen oder entkräften helfen könnten.

Eine Möglichkeit, sich ohne Angst vor dem Staatsanwalt mit Kollegen über Verdachtsfälle auszutauschen, streben auch die Pädiater und Kriminalbeamten im Duisburger Netzwerk "Riskid" an.

Denn: Reagiert ein Arzt misstrauisch, wenn er in seiner Praxis ein verletztes Kind behandelt, gehen die Eltern zum nächsten. So gehe wichtige Zeit für eine klare Diagnose gehe verloren, heißt es auf der Internetseite von "Riskid".

Verbesserung nicht zu erkennen

Das Familienministerium habe es verpasst, mit dem Gesetzentwurf eine echte Schnittstelle zwischen dem Gesundheitswesen und der staatlichen Kinder- und Jugendhilfe zu schaffen, sagt Georg Ehrmann, der Vorsitzende der Deutschen Kinderhilfe.

Eine Verbesserung gegenüber dem status quo sei nicht zu erkennen, sagte Ehrmann der "Ärzte Zeitung". Es gebe 607 Jugendämter in Deutschland. Keines arbeite wie das andere. Hier etwas überzustülpen, bedeute Reibungsverluste. Länder sähen bei dem Gesetz noch erheblichen Nachbesserungsbedarf.

Obwohl das Gesetz Rechte der Ärzte und eventuell Vergütungsregeln für die von den Vertragsärzten geforderte Mitarbeit in der Prävention von Misshandlungen berührt, ist aus dem Gesundheitsministerium (BMG) dazu wenig zu hören.

In einer Anhörung im Familienministerium sei das BMG lediglich niederrangig vertreten gewesen, berichten Teilnehmer. Aus dem BMG wiederum hieß es, man vertrete in dem Verfahren eine Position, "Schaden von der GKV" abzuwenden.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Zwickmühle Schweigepflicht

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Kommentare
Dr. Ralf Kownatzki 18.07.201113:40 Uhr

Diagnosestellung Kindesmisshandlung ICD 10 T74.0 ff wird weiter behindert

Ärzte in der ambulanten Versorgung haben die Aufgabe, Diagnosen nach dem Diagnoseschlüssel des Bundesgesundheitsministeriums (ICD 10) zu stellen. Es ist sicher unstrittig, daß gerade Diagnosen von Kindesmißhandlungen (ICD 10: T 74.0ff) besonders schnell und exakt gestellt oder ausgeschlossen werden sollten.

Das Problem im ärztlichen Bereich ist es, daß bereits erhobene Befunde, die noch nicht für eine klare Diagnose ausreichen, bei Arztwechsel (vorsätzlich oder aus anderen Gründen) verloren gehen und es deshalb zu einer verspäteten Diagnose von Kindesmisshandlung mit fatalen Folgen kommt.

Nach den Vorstellungen des Bundesfamilienministeriums soll demnächst das Jugendamt die Aufgabe übernehmen, eine korrekte Diagnose aus dem ICD 10 T 74.0ff Bereich zu stellen.

Abgesehen von der Tatsache, dass dieses Vorgehen kaum praktikabel ist, (denn das Jugendamt müßte dann einen Ansprechpartner mit entsprechenden medizinischen Fachkenntnissen vorhalten, der ja mindestens den Ausbildungsstandard der ratsuchenden Ärzte haben müßte), wäre dies auch ein sehr schwerer Eingriff in das Vertrauensverhältnis der Arzt Patientenbeziehung.

Dem Duisburger RISKID Projekt wurde -in Unkenntnis der konkreten Abläufe des Informationssystem- immer wieder vorgeworfen, die Erweiterung des Informationsaustausches selbst zwischen Ärzten bei V.a. Kindesmisshandlung würde Eltern abschrecken: z.B. mit ihren verletzten Kindern zum Arzt zu gehen.

Dabei unterscheidet sich die zwischenärztliche Information z.B.mittels RISKID in ihren Konsequenzen völlig von der geplanten Meldung an das Jugendamt.

Die Möglichkeit zur Information zwischen Ärzten hätte für die betroffenen Eltern keine Auswirkungen bis die Diagnose geklärt ist, da die Schweigepflicht weiterhin erhalten bleibt und die Eltern schützt. Die Information würde ja erst dann den Bereich der Ärzteschaft verlassen, wenn eine konkrete Gefahr für das betroffene Kind diagnostiziert wurde

Beim derzeitigen Gesetzentwurf ist vorgesehen, auch unklare Fälle von Kindesmisshandlung bereits dem Jugendamt mitzuteilen.

Damit verläßt die Information den geschützten Raum der Arzt-Patienten Beziehung mit ihrer Schweigepflicht und gelangt zu einer Behörde deren Auftrag es ist-je nach Einschätzung des Sachverhalts, nicht nur Hilfestellung in schwierigen familiären Situationen anzubieten, sondern auch ihrem Wächteramt nach § 6 GG zu entsprechen, was ja bekanntlich bis zu einer Inobhutnahme eines Kindes aus der Familie führen kann.

Dies kann dazu führen, dass Eltern zukünftig notwendige Arztbesuche vermeiden ( z.B. bei Verletzungen ) weil sie befürchten müssen, dass schon eine unklare Verletzungssymptomatik zu einer Meldung an das Jugendamt führen kann.

Sollte der Gesetzentwurf in der jetzigen Fassung Gesetz werden, könnte es im besten Fall dazu führen, dass sich im Bereich des Gesundheitswesens gar nichts ändert: d.h. Ärzte melden nach wie vor erst ihre gesicherten Fälle, wobei die Diagnose aus den bekannten Gründen weiterhin oft sehr spät oder zu spät gestellt werden wird.
Sehr vorsichtige Ärzte hingegen könnten sich veranlaßt sehen, bereits jede unklare Verletzung ans Jugendamt zu melden.

Fazit:
Eine Verbesserung des Kinderschutzes könnte erreicht werden, wenn im anstehenden Kinderschutzgesetz endlich gesetzlich geregelt würde, es Ärzten zu erlauben sich untereinander über ihre noch unklaren Fälle von Kindesmisshandlung gegenseitig zu informieren.
Der jetzige Gesetzentwurf führt – den Gesundheitsbereich betreffend - im besten Fall nicht weiter – im schlimmsten Fall verschlechtert er die Situation der vor Misshandlungen zu schützenden Kinder.

Dr. med. Ralf Kownatzki
Initiator RISKID
www.riskid.de

Uwe Schneider 18.07.201113:16 Uhr

Nicht nur Jugendämter, auch Ärzte können Fehler machen,

die möglicherweise auch dann gravierende Auswirkungen haben, wenn ein Misshandlungsverdacht nicht bestätigt werden kann, er durch Kontaktieren anderer "Ärzte, Lehrer, Drogenberater, Familientherapeuten" und sonstiger Helfer aber schon die Runde gemacht hat und so eine gewisse Stigmatisierung verbleibt. Denn je größer der Kreis der um den Verdacht Wissenden, desto größer auch die Gefahr der weiteren Verbreitung und Vorverurteilung.

Bei welchen anderen Ärzten soll den überhaupt angefragt werden? Wenn sich jemand einem Missbrauchsverdacht ausgesetzt sieht, wird er eventuelle Vorbhandler kaum nennen. Sollen dann alle Pädiater und Hausärzte des Viertels, der Klein- oder gar Großstadt, ... befragt werden? Welcher Arzt kann garantieren, dass eine Azubine oder ein ein Telefonat mithörender Patient nicht doch den Verdacht weiterträgt?

Auch den Lehrern will ich hier nicht mangelnde Vertrauenswürdigkeit unterstellen. Doch ist die Institution Schule viel weniger auf Vertraulichkeit ausgerichtet als Arztpraxen oder Jugendämter. Wenn sich ein Arzt vom Schulsekretariat zum (Klassen-)Lehrer eines Schülers durchfragt, dann kann das schon eine unheilvolle Gerüchtekette in Gang setzen. Ist der Lehrer gerade nicht erreichbar, wird ihm möglicherweise eine Nachricht in sein Fach im Lehrerzimmer gelegt und solche Fächer sind auch für Schüler nicht immer unerreichbar ...

Wahrscheinlich ist die Einschaltung des Jungendamtes als Zentralstelle doch die bessere Lösung, wobei man sich dort jedoch u.U. um mehr Qualitätssicherung und auch Rückkoppelung gegenüber den Ärzten bemühen müsste.

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