Gesundheitspolitik
Die Zeit wird knapp
Die Agenda im Gesundheitsausschuss ist immer noch pickepackevoll, dabei wird die Zeit knapp. Die Koalition muss sich zusammenreißen, wenn sie dieses Programm bis zur Bundestagswahl noch abarbeiten will.
Veröffentlicht:Rund zwölf Monate hat die große Koalition noch Zeit, um in der Gesundheitspolitik Nägel mit Köpfen zu machen. Im September 2017 steht die Bundestagswahl an - spätestens ab dem Frühjahr schaltet das politische Berlin in den Wahlkampfmodus.
Wenig Zeit bleibt also für Union und SPD, mehrere Gesetzgebungsvorhaben im Bundestag zu verabschieden, die Auswirkungen auch auf die ambulante und stationäre Versorgung haben:
- Mit dem Arzneimittel-Versorgungsstärkungs-Gesetz soll das 2011 in Kraft getretene AMNOG novelliert werden. Bislang kommen die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung viel zu selten bei den Vertragsärzten an. Die Debatte über die dafür nötige Informationsautobahn ist längst entbrannt. Auf der Agenda des "AMNOG 2.0" sollte eigentlich auch stehen, wie Vertragsärzte neue Medikamente verordnen können, ohne Regressanträge der Kassen fürchten zu müssen. Bislang überwiegen Zweifel, dass eine pragmatische Regelung hier noch gelingt. Das Bundeskabinett wird am 21. oder 28. September den Entwurf beschließen. Die Novelle soll Anfang 2017 in Kraft treten.
- Das Heil- und Hilfsmittel-Versorgungsgesetz (HHVG) kann Erleichterungen gerade auch für chronisch kranke Patienten bringen. Jahrelang hat die Selbstverwaltung bei der Aktualisierung der Hilfsmittelverzeichnisse keine Eile gehabt. In Teilbereichen wie der Inkontinenzversorgung ist der Sparwettbewerb der Kassen zulasten der Patienten gegangen: Viele mussten teils kräftig aus der eigenen Tasche aufzahlen, um funktionsfähige Hilfsmittel zu erhalten. Die Wildwest-Kultur bei Ausschreibungen der Kassen soll eingedämmt, die Information der Versicherten verbessert werden. Vorgenommen hat sich die Koalition auch, flächendeckend Modellvorhaben zur Blankoverordnung von Heilmitteln, insbesondere bei der Physiotherapie, aufzulegen. Damit gerät die Delegation ärztlicher Leistungen wieder in den Fokus. Verbände sind bereits zum Referentenentwurf aus dem Gesundheitsministerium angehört worden, im Spätsommer soll dann der Kabinettsbeschluss folgen.
- Mit einer Änderung des Betäubungsmittelgesetzes soll die Versorgung von Schwerkranken mit Cannabis verbessert werden. Vorgesehen ist die Schaffung einer staatlichen Cannabis-Agentur, die Anbau und Vertrieb koordinieren soll, um den Eigenanbau zu verhindern. Bisher erhalten Patienten nur in Ausnahmefällen cannabishaltige Medikamente verschrieben, sie müssen die Kosten meist selbst tragen. Fast zwei Drittel der Antragsteller sind Schmerzpatienten. Die erste Beratung des Gesetzentwurfs im Bundestag hat im Juli stattgefunden. In dem ebenso kontroversen wie ideologisch aufgeladenen Gesetzgebungsverfahren ist für den 21. September im Gesundheitsausschuss die Anhörung terminiert. Am 10. November ist die zweite Lesung im Bundestag angesetzt.
- Ein Reparaturgesetz im Wortsinne ist der Entwurf zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PPsychVVG). Es tritt an die Stelle des gescheiterten Entgeltsystems PEPP, das noch von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) durchgedrückt worden war. Statt eines DRG-analogen Entgeltsystems ist nun ein Budgetsystem für Krankenhäuser geplant, das leistungsbezogene Vergleiche der Einrichtungen ermöglichen soll. Anfang August hat das Bundeskabinett den Gesetzentwurf vorgelegt. Gelobt werden die verbindlichen Mindestvorgaben zur Personalausstattung, doch die Pläne zum Home Treatment von Patienten stoßen bei der KBV auf Widerstand. Am 22./23. September beschäftigt sich der Bundestag in erster Lesung mit dem Entwurf. Abgestimmt werden soll am 10./11. November.
- Festgebissen hat sich der Bundestag an der Umsetzung einer EU-Verordnung in deutsches Recht, der 4. AMG-Novelle. Grund ist ein Streit um gruppennützige Forschung an Demenzkranken. Im September werden dazu vermutlich Kompromissvorschläge erwartet.
- Welchen Verlauf die Reform der Pflegeberufe nimmt, ist aktuell völlig unklar. Im März hat der Bundestag den umstrittenen Gesetzentwurf beraten, mit dem die Ausbildung in der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege zusammengeführt werden soll. Nicht ausgeschlossen ist, dass dieses Gesetz vor der Wahl nicht zu Ende beraten werden kann. Das Verfahren müsste dann neu gestartet werden.