Sterbehilfe

Sind drei von vier Gesetzentwürfen verfassungswidrig?

Bei drei der bislang vier vorgelegten Gesetzentwürfe zum assistierten Suizid hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages verfassungsrechtliche Bedenken. Parlamentarier weisen die Kritik vehement zurück.

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr und Anno FrickeAnno Fricke Veröffentlicht:
Experten zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit von drei Gesetzentwürfen zum assistierten Suizid.

Experten zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit von drei Gesetzentwürfen zum assistierten Suizid.

© [M] Arnulf Illing, Springer Verlag GmbH

BERLIN. Das gesellschaftliche Interesse an diesem Thema ist groß, jetzt erhält die politische Debatte um eine gesetzliche Regelung für den assistierten Suizid neuen Zündstoff: Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags bezweifelt, dass drei im Bundestag diskutierte Entwürfe zur Sterbehilfe der Verfassung entsprechen.

Größte Chancen auf eine Mehrheit im Parlament hat bisher der Antrag einer Abgeordnetengruppe um Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD). Assistierter Suizid soll danach verboten sein, wenn er auf Wiederholung angelegt ist - egal ob geschäftsmäßig oder unentgeltlich. Brand und Griese wollen allerdings Straffreiheit für Menschen, die nur im Einzelfall und aus altruistischen Motiven bei der Selbsttötung helfen.

Was ist strafbar und was nicht?

Diese Unterscheidung ist aus Sicht der Juristen des Wissenschaftlichen Dienstes problematisch. Sie rücken dabei das sogenannte Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes in den Fokus, nach dem aus Gesetzen ersichtlich sein muss, was strafbar ist und was nicht.

Dies sei aber beim Brand/Griese-Entwurf unklar - insbesondere mit Blick auf die Arbeit von Ärzten etwa in Hospizen oder auf Intensivstationen.

Diese Ärzte "könnten regelmäßig aus einem ohnehin bestehenden Behandlungsverhältnis dazu übergehen, ihre Patienten auch hinsichtlich der Sterbehilfe zu beraten und Medikamente zu verschreiben", heißt es in den Ausführungen, die der "Ärzte Zeitung" vorliegen.

Wenn diese Ärzte "auf die Wünsche ihrer Patienten eingingen, wäre schnell die Schwelle erreicht, bei der auch das Leisten von Sterbehilfe zu einem wiederkehrenden Bestandteil ihrer Tätigkeit würde."

Strafbare Wiederholungsabsicht oder erlaubter Einzelfall? Es wäre unmöglich, das zu unterscheiden, argumentieren die Bundestagsjuristen. Daher sei zweifelhaft, ob der Brand/Griese-Entwurf "dem verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheitsgebot genügt."

Die Gutachter vertreten auch die Auffassung, dass die Entwürfe einer Gruppe um Renate Künast (Grüne) und einer weiteren um Peter Hintze (CDU) formal verfassungswidrig sind. Künast will kommerzielle, nicht aber unentgeltliche Hilfe bestrafen. Hintze will Ärzten den assistierten Suizid unter bestimmten Bedingungen erlauben.

Beide Entwürfe sehen einen Eingriff ins ärztliche Standesrecht vor. Dem Bund stehe aber keine Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des ärztlichen Berufsrechts zu, so die Juristen. Diese liege bei den Ländern.

Hintze widerspricht

Hintze hat inzwischen widersprochen. Auch die Patientenverfügung sei im Bürgerlichen Gesetzbuch und somit bundesrechtlich geregelt, obgleich sie das ärztliche Handeln berühre, sagte er.

Katja Keul, rechtspolitische Sprecherin der Grünen, die das Gutachten in Auftrag gegeben hatte, sprach sich mit Blick auf die Ergebnisse grundsätzlich gegen geplante Änderungen aus: "Allein die aktuelle Rechtslage garantiert Ärzten Straffreiheit bei der Sterbehilfe!", sagte sie.

"Die Berichterstattung liest sich für mich fast wie eine wohlwollende Nebelkerze im Sinne von Frau Keul", kritisierte Thomas Sitte von der Deutschen Palliativstiftung, der erhebliche Zweifel an den juristischen Einwänden zum Brand/Griese-Entwurf anmeldete.

Formal nichts auszusetzen hatten die Bundestagsjuristen am Entwurf einer Gruppe um Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger (beide CDU).

Sie wollen die "Anstiftung und Beihilfe an einer Selbsttötung" verbieten - eine Position, die im allerdings nicht die geringste Chance hat, mehrheitsfähig zu sein.

Das sieht Michael Brand nicht anders: "Wir sind uns nach der Analyse führender Juristen sicher, dass die Autoren des Wissenschaftlichen Dienstes irren und wir uns auf die Verfassungsmäßigkeit unseres sehr sorgfältig und aufwändig erarbeiteten Gesetzentwurfes verlassen können", sagte er.

Roger Kusch vom Verein Sterbehilfe Deutschland hat bereits angekündigt, dass er Verfassungsbeschwerde einlegen werde, falls der Bundestag den assistierten Suizid strenger reguliert.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Kein Scherbenhaufen

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