DAK-Vorstandschef Herbert Rebscher
"Unsere Verträge sind clean, soweit ich sie überblicke"
DAK-Vorstandschef Professor Herbert Rebscher gibt zum Jahresende sein Amt auf. Im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" wird klar, dass er einige politische Entscheidungen und Vorgaben für kontraproduktiv hält.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Herr Professor Rebscher, das Bundesversicherungsamt prüft mögliche Einflussnahmen der Kassen auf das Diagnoseverhalten von Ärzten. Hat die DAK sich am upcoding beteiligt?
Prof. Rebscher: Nein, wir haben da keine Befürchtungen. Unsere Verträge sind völlig clean, soweit ich sie überblicke. Wir haben auch keine individuelle Kodierberatung gemacht, sondern nur dann eingegriffen, wenn wir Fehler gesehen haben.
Was bedeutet eingegriffen?
Es gibt keine verbindliche Diagnose-Kodierung im ambulanten Bereich. Das ist das Problem. Für den einzelnen Arzt ist es gar nicht nachvollziehbar, warum er sich dabei große Mühe geben sollte. Eine falsche Kodierung bleibt ja für ihn folgenlos. Deshalb ist es vernünftig und auch eigentlich unsere Verpflichtung, nachzufragen, wenn wir Dauerdiagnosen sehen, für die es keine richtige Kodierung gibt.
Nennen Sie doch einmal ein Beispiel.
Wenn zum Beispiel einem Patienten regelmäßig Insulin verordnet wird, aber nicht festgehalten, dass er Diabetiker ist, muss ich doch sagen können: Bitte korrigieren Sie das. Dann mache ich ja nichts Falsches, denn der Mensch hat ja Diabetes. Ich will es nur wissen und dokumentieren.
Und die Vorteile im Risikostrukturausgleich ausschöpfen...
Das auch. Der RSA ist ja an Diagnosen gekoppelt. Ich brauche die also, um meinen Wirtschaftlichkeitsverpflichtungen nachzukommen.
Und was ist mit Betreuungsstrukturverträgen zwischen Kassen und Ärzten? Führen die zu Upcoding?
Alle, die vorschnell meinen, dass diese Verträge kritisch sind, werden sich noch wundern. Jeder IV-Vertrag beruht darauf, dass man eine Absprache trifft, bestimmte Patienten in einem bestimmten Setting besser zu versorgen. Und der Nachweis dafür, einen Patienten dort aufzunehmen, ist die Diagnose.
Das gilt auch dafür, den Ärzten in solch einer Struktur ein höheres Honorar zu geben, wenn durch die bessere ambulante Versorgung zum Beispiel Krankenhauseinweisungen vermieden werden. Ohne Diagnoseübermittlung und Dokumentation könnte ich einen solchen Vertrag nicht prüfen.
Dass es in diesem Zusammenhang Anreize gibt, richtig zu codieren, zieht sich durch das ganze System. Das braucht niemand zu skandalisieren. Auch die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Ärzte, zum Beispiel in puncto Arzneimittel- und Hilfsmittelverordnung, funktioniert so. Das ist etwas Selbstverständliches.
Rechnen Sie mit Konsequenzen?
Ich befürchte, dass das Bundesversicherungsamt den bundesweit geöffneten Kassen sagt: Was ihr da macht, dürft ihr nicht, gleichzeitig aber gute Wirtschaftlichkeitsnachweise fordert. Hinzu kommt, dass wir den Eindruck haben, die Aufsichtsbehörden der Länder kümmern sich um die Umsetzung der Abmachungen, einheitlich zu handeln, nicht wirklich. Sie schauen erst einmal, wo die Interessen ihres Landes liegen.
Sie zählen ja zu den Kritikern des aktuellen Finanzausgleichs zwischen den Kassen. Sehen Sie denn eine Chance, dass sich dort etwas bewegen könnte, zum Beispiel in Richtung einheitliche Aufsicht?
Das würde ich trennen. Man muss über den RSA von der Sache her diskutieren. Und dann über die aufsichtsrechtlichen Unterschiede.
Ich bin überzeugt, dass ein System wie der RSA zwingend eine einheitliche Aufsichtspraxis braucht. Kein Bundesland hat ein Interesse daran, dass eine Regionalkasse Geld an den Bund abgibt. Das gilt genauso für bundesweite Kassen. Der Interessengleichklang unterschiedlicher Aufsichtspraktiken ist ein Problem in einem Verfahren, in dem die Aufsicht eigentlich für die Objektivität und Gleichbehandlung sorgen sollte.
Und die inhaltliche Kritik am RSA...
Risikostrukturausgleichsverfahren sollten als lernende Verfahren angelegt sein. Wir haben aber den Fehler, dass alles, was im RSA geschieht bzw. verändert wird, einen politischen Veränderungsprozess braucht. Es muss ein Gesetz gemacht werden. Im Krankenhausbereich zum Beispiel ist das intelligenter gelöst.
Dort ist mit dem INEK ein Institut zwischengeschaltet, in dem jedes Jahr überlegt wird, welche DRG wie angepasst werden sollen. Ein unpolitischer Lernprozess.
Und wie ließe sich das auf den RSA übertragen?
Zwei Beispiele: Wir werden kein Ausgleichssystem so feingliedrig hinbekommen, dass Hochkostenfälle abgedeckt werden. Nehmen Sie den Fall der Frau in Berlin, die mit der Gentherapie Glybera behandelt wurde. Kostenpunkt fast eine Million Euro. Nach den Kriterien des Risikostrukturausgleichs gilt diese Frau aber als kerngesund. Die Kasse bekommt für sie 50 Euro im Monat, muss aber ungleich mehr für sie aufwenden.
Ein Hochrisikopool gehört daher zwingend zu einem vernünftigen Ausgleichsmodell. Der wäre vergleichbar mit einer Rückversicherung, über die eine Privatversicherung bestimmte Risiken absichert. Es handelt sich hier also nicht um eine Forderung die das Interesse einer einzelnen Kasse bedient. Das ist ein versicherungsmathematisches Problem, das die ganze GKV betrifft.
Eine weitere Änderung wäre die Einführung einer Regionalkomponente, wie Bayern sie fordert. In Hamburger Kliniken kommen 40 Prozent der Patienten aus Schleswig-Holstein oder Niedersachsen.
Metropolen versorgen mit ihren Krankenhäusern, Facharztstrukturen und Schwerpunktpraxen das Umland mit. Das ist ihre Funktion, und auch nicht unwirtschaftlich. Wir wollen das ja so.
Denken Sie an die Mindestmengendiskussion und an die Schwerpunktbildungen über Qualitätsvorgaben. Es sollte daher einen Metropolzuschlag aus dem RSA geben. Das wäre eine sinnvolle Regionalkomponente.
Themenwechsel: Die DAK hat viele Verträge zur integrierten Versorgung. Bringt der Innovationsfonds neuen Schwung?
Der Innovationsfonds ist nur die Folge einer politisch nicht konsequent vollzogenen Strukturierung des damaligen Ansatzes zur Integrierten Versorgung. Den bräuchten wir gar nicht.
Warum?
Wie kam denn die Diskussion über die Einrichtung eines solchen Fonds überhaupt auf? Weil landauf, landab die Einschätzung formuliert wurde, dass die IV nie richtig funktioniert habe. Das bestreite ich aber. Wir wissen schlicht nicht, ob sie funktioniert, oder nicht.
Weil es keine Evaluation gibt...
Das ist der Punkt. Als es 2004 mit der IV richtig losging, war übrigens viel mehr Geld dafür da als die 300 Millionen Euro im Jahr heute. Damals waren fünf Jahre lang rund 800 Millionen Euro im Jahr im Topf, die Anschubfinanzierung durch ein Prozent der Kassenbudgets. Die wurden übrigens relativ exakt auch genauso ausgegeben. Das Auslaufen der Anschubfinanzierung und die Einführung der Zusatzbeiträge in Euro hat die Vertragsstrukturen dann brutal behindert. Das war der Innovationskiller.
Es gibt aber keine argumentative Grundlage dafür zu sagen, die Verträge hätten nichts gebracht. Wir wissen es einfach bis heute nicht. Der Gesetzgeber hat zugelassen, dass Unternehmen im Wettbewerb öffentliche Mittel verwendet haben, ohne Rechenschaft darüber ablegen zu müssen.
Hätte man damals eine nachträgliche Genehmigung von Verträgen anhand eines reglementierten Evaluationsberichts eingeführt, anstatt der Vorabgenehmigung, hätte man heute 3000 bis 4000 evaluierte Verträge. Und dann könnte man darüber diskutieren, was davon in die Regelversorgung übernommen werden sollte.
Man hätte zum Beispiel die Anschubfinanzierung nicht erst den Kassen auszahlen können, sondern auf ein Innovationskonto beim Bundesversicherungsamt. Nur die Kassen, die IV anbieten, hätten davon etwas bekommen. Das hätte Wettbewerb um Ideen geschaffen.
Stattdessen haben wir nun Zuweisungen aus einem Fonds, hinter dem Gremien mit eigenen Interessen stehen, zudem entscheiden zwei Ministerien über Mittel der Krankenversicherung mit. Ein echter ordnungspolitischer Sündenfall.
Im Gesundheitsfonds liegt auch Geld...
Wir brauchen eine Diskussion darüber, warum im Fonds über die Mindestreserve hinaus Geld liegt. Dass nun 1,5 Milliarden Euro an die Krankenkassen ausgeschüttet werden, ist ein erster richtiger Schritt. Es sollten noch mehr solcher Schritte gegangen werden, um das Polster abzuschmelzen.
Es handelt sich schließlich um Geld, das den Krankenkassen gehört. Falsch ist, dass die Krankenhäuser 500 Millionen an Restrukturierungsmitteln aus dem Fonds bekommen. Das ist Geld, das damit sach- und zweckwidrig für die Investitionsfinanzierung der Bundesländer genutzt wird.
Wären Sie für eine monistische Finanzierung der Krankenhäuser?
Für die Finanzierungslogik wäre eine monistische Finanzierung sehr viel sinnhafter. Allerdings sollte die landesbezogene Planung beibehalten werden. Da sollten wir uns als Kassen nicht überheben. Über Infrastruktur zu entscheiden, bleibt eine politische Aufgabe.
In der Monistik könnte man aber über die DRG Investitionen besser steuern, zum Beispiel in die Zentren. Man könnte Einfluss auf die Mengenentwicklungen nehmen.
Sie hören als DAK-Vorstandsvorsitzender zu einem Zeitpunkt auf, da die Kasse einen der höchsten Beiträge verlangen muss. Trübt das Ihre Stimmung?
Nein, die DAK war immer eine teure Kasse, unter anderem weil sie viele IV-Verträge hat und trotz der ökonomischen Verwerfungen im Gegensatz zu vielen ihrer Mitbewerber noch eine regionale Beratungsstruktur aufrecht erhält. Eine Krankenkasse mit niedrigem Beitragssatz ist nicht automatisch eine gute Krankenkasse.
Einige erreichen das durch Risikoselektion, andere sind Nutznießer des Risikostruktursystems. Wir sind die Kasse mit dem höchsten Durchschnittsalter ihrer Mitglieder. Unser Ziel ist ein gescheites Preis-Leistungsverhältnis. Gerade die Ärzte können doch nicht wollen, dass im Kassenwettbewerb der billige Jakob gewinnt. Dann würde in der Versorgung ja auch nur noch das Billigste bezahlt.
Professor Herbert Rebscher:
Gegenwärtige Position: Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit (bis Ende 2016).
Ausbildung: Studium der Wirtschafts- und Organisationswissenschaften an der Universität der Bundeswehr in München.
Karriere: seit 1992 stellvertretender Geschäftsführer beim Verband der Angestellten Krankenkassen (VdAK), ab 1996 VdAK-Vorstandsvorsitzender, ab 2003 Vorstand der DAK, deren Vorstandsvorsitzender er 2005 wurde, seit elf Jahren Honorarprofessor an der Universität Bayreuth.