Impfstoff von AstraZeneca
Neue Impfrisiken – Patienten brauchen erweiterte Aufklärung
Das Impfen mit AstraZeneca ist am Freitag wieder aufgenommen worden. Bei der Aufklärung von Patienten müssen Ärzte nun noch etwas mehr bedenken als vorher. Empfehlungen eines Medizinrechtlers.
Veröffentlicht:Berlin. Schon vor dem Impfstopp mit dem Impfstoff von AstraZeneca schwante einer Berliner Hausärztin, dass der Aufklärungsbedarf bei ihren Patienten groß sein wird. Sie gehört zu den vorgesehenen 100 Praxen in der Hauptstadt, die eigentlich innerhalb von drei Wochen mit dem Impfen von Patienten beginnen sollten. 250 Dosen AstraZeneca waren ihr dafür von der KV angekündigt worden.
Wie, so ihre Frage vor dem Impfstopp, sollte sie ihre Aufklärung vor allem in Bezug auf die Thrombosefälle jetzt gestalten? Ob dabei Besonderheiten zu beachten seien?
Zunächst vorweg: Auch wenn die Zahl der unerwünschten Ereignisse im Zusammenhang mit ChAdOx1-S, dem Impfstoff von AstraZeneca, bislang im Vergleich zur verimpften Menge nur gering ist, dürfen sie bei der Aufklärung nicht vom Tisch gewischt werden. „Nach ständiger Rechtsprechung hat der Arzt auch über seltene Risiken aufzuklären“, sagt Professor Christian Katzenmeier, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Medizinrecht der Universität Köln.
BGH hat sich noch nicht festgelegt
Das gilt besonders dann, wenn die Risiken die Lebensführung schwer belasten, für den Fall, dass sie sich verwirklichen. Und wenn „sie trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff spezifisch, für den Laien überraschend sind“, so die Gerichte.
Ein festes Zahlenverhältnis zwischen Komplikationsdichte und Aufklärungspflicht habe der Bundesgerichtshof bislang nicht festgelegt, sagt Katzenmeier. So gebe es keine Grenze, bei der die Aufklärungspflicht über Risiken entfalle.
Das heißt: Auch bei „extrem seltenen Risiken eines Eingriffs“ oder bei einer Risikodichte, die sich nur im Promillebereich bewegt, seien Patienten darüber aufzuklären, wenn es sich um ein spezifisches Risiko des Eingriffs handelt. Für Ärzte bedeutet das: Patienten sind auf die Vorkommnisse bei AstraZeneca und die Prüfergebnisse der EMA und des Paul-Ehrlich-Instituts hinzuweisen.
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Der Patient hat die Wahl, aber keinen Anspruch
Gemäß Paragraf 630e Bürgerliches Gesetzbuch sind Ärzte außerdem verpflichtet, über „echte“ Behandlungsalternativen aufzuklären. Ob sich Patienten dann mit ChAdOx1-S impfen lassen wollen, steht allein in ihrer Entscheidung.
Denn gibt es mehrere Impfstoffe mit unterschiedlichen Wirksamkeits- und Risikoprofilen, „dann ist die Wahl des Impfstoffs nicht Sache des Arztes, sondern des Patienten“, weist Katzenmeier auf das Selbstbestimmungsrecht hin. „Von Rechts wegen ist daher über die verschiedenen Impfstoffe aufzuklären, auch wenn nicht alle angeboten werden können.“
Solange jedoch die Impfstoffe knapp sind, habe der Patient keinen Anspruch auf einen bestimmten Impfstoff. „Er kann aber eine Impfung mit AstraZeneca ablehnen, ohne dass dadurch sein Anspruch auf Impfung zu einem späteren Zeitpunkt ausgeschlossen wird“, so Christian Katzenmeier.
Zweitimpfung: Risikolage hat sich geändert
Vor der zweiten Impfung ist eine nochmalige Aufklärung eigentlich nicht nötig. Allerdings: Wenn – wie bei AstraZeneca – zwischenzeitlich neue Ereignisse bekannt werden oder die Risikolage sich ändert, dann muss mit den Patienten noch einmal ein Gespräch geführt werden. Für sie ist die Lage allerdings die gleiche wie vor der ersten Dosis: Sie haben derzeit nur die Wahl, ob sie auf die zweite Impfung mit AstraZeneca lieber verzichten und abwarten.
Bislang sehen die Empfehlungen aufgrund fehlender Daten noch vor, die Vakzine bei der Erst- und Zweitimpfung nicht zu kombinieren. Das Paul-Ehrlich-Institut weist aber darauf hin, dass der Körper nach der Erstimpfung bereits einen gewissen Schutz gegen einen schweren Verlauf von COVID-19 entwickelt. Auch wenn der Impfabstand von zwölf Wochen überschritten werde, führe das nicht dazu, „dass die Impfung nicht mehr wirkt“.
Katzenmeier rät Ärzten dazu, die Aufklärung über die Impfrisiken mit AstraZeneca besonders zu dokumentieren. Das sei nicht nur wegen der Vorschriften im BGB geboten. „Eine sorgfältige Dokumentation dient auch der Haftungsprophylaxe“, so Katzenmeier. Denn bei unterlassener oder unvollständiger Dokumentation drohen Ärzten bei möglichen späteren Haftungsprozessen beweisrechtliche Nachteile.
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Auch wenn die Aufklärung und Dokumentation relativ umfangreich sind, müssen sie die Ärzte doch nicht viel Zeit kosten. Eine gute Impfsoftware, die in die Praxis-EDV integriert ist, sollte alle erforderlichen Aufklärungsunterlagen auf Knopfdruck bereithalten und auch die Dokumentation standardisiert bereithalten.
Auf Anfrage der „Ärzte Zeitung“ berichtete Allgemeinmediziner Dr. Hans-Jürgen Schrörs von der Gesellschaft zur Förderung der Impfmedizin (GZIM), die das Impfprogramm ImpfDocNe entwickelt hat, dass im Programm für alle Impfstoffe Aufklärungsunterlagen hinterlegt seien. Für COVID-19-Impfstoffe greife die Software noch direkt auf die offiziellen RKI-Dokumente zu, da sich ständig Änderungen ergäben. Die Unterlagen seien hinterlegt und auch ausdruckbar.
Die Dokumentation sei ebenfalls hinterlegt, und die Daten könnten per Mausklick an das Robert Koch-Institut und auch zur Abrechnung an die KV exportiert werden. Strichlisten, welche Impfstoffe am Tag wie häufig verimpft worden sind, müssten nicht geführt werden, die Software führe im Hintergrund automatisch Buch. ImpfDocNe ist den Angaben zufolge mit Schnittstellen zu 70 Prozent der Praxis-EDV-Systeme ausgestattet. (Mitarbeit: ger)
Aufklärung und Impfberatung nach Impfverordnung
Was die Aufklärung und Impfberatung beinhaltet, steht in Paragraf 1 Abs. 3 Corona-Impfverordnung:
- Der Anspruch (auf Schutzimpfung im Rahmen der Verfügbarkeit der vorhandenen Impfstoffe, Anm d. Red.) umfasst die Aufklärung und Impfberatung der zu impfenden Person, die symptombezogene Untersuchung zum Ausschluss akuter Erkrankungen oder Allergien, die Verabreichung des Impfstoffes, die Beobachtung der sich an die Verabreichung des Impfstoffes unmittelbar anschließenden Nachsorgephase und erforderliche medizinische Intervention im Fall des Auftretens von Impfreaktionen.
- Die Aufklärung und Impfberatung der zu impfenden Person beinhalten:
1. Information über den Nutzen der Schutzimpfung und über die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19),
2. Erhebung der Anamnese einschließlich der Impfanamnese sowie der Befragung über das Vorliegen möglicher Kontraindikationen,
3. Feststellung der aktuellen Befindlichkeit zum Ausschluss akuter Erkrankungen oder Allergien,
4. Hinweise auf mögliche Nebenwirkungen und Komplikationen der Schutzimpfung,
5. Schutzwirkung: Informationen über den Eintritt und die Dauer der Schutzwirkung der Schutzimpfung,
6. Hinweise zu Folge- und Auffrischimpfungen,
7. Empfehlungen über Verhaltensmaßnahmen im Anschluss an die Schutzimpfung.
- Das sagt das Paul-Ehrlich-Institut: Wer vier bis 16 Tage nach einer Impfung mit COVID-19-Impfstoff AstraZeneca anhaltende Kopfschmerzen entwickelt oder punktförmige Hautblutungen bei sich entdeckt, sollte sich dringend in ärztliche Behandlung begeben. Es ist aber gleichzeitig wichtig darauf hinzuweisen, dass es sich um eine sehr seltene potenzielle Nebenwirkung handelt. Gemeldet wurde dem Paul-Ehrlich-Institut bisher etwa ein Fall pro 100.000 Impfungen mit dem COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca. Es ist also wichtig, auf mögliche Anzeichen dieser Nebenwirkung zu achten – gleichzeitig ist die Wahrscheinlichkeit des Auftretens sehr gering. (juk)