Gesundheitskarte und Co.
E-Health-Gesetz auf dem Prüfstand
Großer Andrang im Gesundheitsausschuss bei der Anhörung zum E-Health-Gesetz: Experten und Interessenvertreter diskutierten mit den Abgeordneten über Stärken und Schwächen des Gesetzes, das vor allem die Anwendungen der Gesundheitskarte voranbringen soll.
Veröffentlicht:BERLIN. Thema E-Health und elektronische Gesundheitskarte eGK: Mindestens seit zwölf Jahren werkelt die Selbstverwaltung an dem Projekt, eine sichere Telematikinfrastruktur aufzubauen, Arztpraxen mit Lesegeräten auszustatten und eine Zugangskarte zur medizinischen Versorgung einzuführen, die mehr kann als nur den Namen eines gesetzlich Versicherten zu tragen.
Da hatte es Symbolcharakter, dass die Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags später als vorgesehen begann und dafür etwas länger dauerte.
Die Online-Anwendungen der eGK gibt es noch immer nicht. Und es wird auch noch eine Weile dauern, bis das Projekt wirklich ans Laufen kommen wird - zumindest in Testläufen.
Alexander Bayer von der gematik, der von der Selbstverwaltung gegründeten Gesellschaft zur Einführung der neuen Technologien, meldete den Abgeordneten auf Nachfrage aus der SPD-Fraktion, dass nach den derzeitigen operativen Plänen der Industrie die im Gesetz vorgegebenen Fristen nicht zu halten seien. "Aus unserer Sicht ist der 30. Juni 2016 nicht zu schaffen", sagte Bayer.
Grund sei, dass dann lediglich erste Erprobungserkenntnisse aus der Industrie vorlägen, die aus Sicht der gematik zu wenig Sicherheit böten, um weitere Schritte einzuleiten.
Tiefe Eingriffe in das Haushaltsrecht
Als Vertreter der gematik-Gesellschafter geißelte KZBV-Vorstand Dr. Günther Buchholz die im Gesetzentwurf enthaltenen Sanktionsankündigungen bei Reißen der Fristen. Es gebe keine Funktionalität der Gesundheitskarte, der eine solche Bedeutung für das Allgemeinwohl zukomme, dass sie solche Eingriffe in das Haushaltsrecht von Selbstverwaltungskörperschaften rechtfertigen könnten.
Sollten die Anforderungen für die Industrie aus der Ausschreibung beibehalten werden, seien die Termine nicht zu halten. Die gematik-Gesellschafter, zu denen auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung zählt, befürchteten vielmehr, dass die Anforderungen aufgeweicht würden und die geplanten Testläufe so zur Farce gerieten. Das würden die KZBV und "wahrscheinlich auch andere Gesellschafter" vor dem Hintergrund der bestehenden Vorstandshaftung nicht zulassen.
Ein Nebenkriegsschauplatz? Die eingeladenen Wissenschaftler und Industrievertreter sprachen die möglicherweise wichtigeren Punkte an. Sie lobten das Projekt, verwiesen jedoch durch die Bank vorsichtig auch darauf, dass die Zeitläufte längst über das Projekt hinweggegangen sind.
Zudem wurde aus ihren Reihen die Konstruktion der gematik kritisiert. "Wir brauchen eine Governance, die national ausgerichtet ist und nicht auf die Selbstverwaltung bezogen", sagte Professor Peter Haas von der Fachhochschule Dortmund.
Die im Gesetz genannten Anwendungen für die Gesundheitskarte seien lediglich ein kleiner Teil dessen, was möglich sei, sagte Ekkehard Mittelstaedt vom Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg). "Sie brauchen nur auf Ihr Smartphone zu schauen", wandte er sich an die Abgeordneten. Was an Gesundheits-Apps angeboten werde, sei in den USA zum Teil schon als Medizinprodukt zugelassen.
Darauf hob auch Professorin Britta Böckmann von der Fachhochschule Dortmund ab. Im Gesetz fehle ein Hinweis darauf, wie die Daten in die elektronische Gesundheitsakte integriert werden könnten, die die Menschen via Gesundheitsapps längst selbst sammelten.
Norbert Butz von der Bundesärztekammer forderte, auch eine Schnittstelle zwischen dem Patienten und der Telematikinfrastruktur zu schaffen, die er über einen persönlichen Zugangscode oder den Fingerabdruck steuern können sollte.
Grundsätzliche Bedenken
Als lebensfremd bezeichnete Professor Haas die Pläne aus dem Gesetzentwurf, Patienten sollten ihre Daten an Terminals in Praxen, über so genannte Patientenfächer, verwalten, nachdem der Arzt ihnen den Zugang freigeschaltet habe. Ohnehin verfüge die eGK über zu wenig Speicher dafür, auf Handys ließen sich die Daten zudem sowieso visualisieren.
Es gibt noch grundsätzlichere Bedenken am gegenwärtigen Zustand des Projekts. Um ein Auseinanderlaufen von Fortschritt und Gesetzgebung zu verhindern, schlug Böckmann vor, noch mit der laufenden Gesetzgebung eine E-Health-Strategie aufzusetzen, einen Masterplan für die nächsten Jahre.
Der sollte auch die Vorhaben systematisieren, Interoperabilität zwischen den Geräten verschiedener Anbieter zu schaffen. "Das geplante Interoperabilitätsverzeichnis reicht nicht", warnte Böckmann. Auch Peter Haas forderte, dass die Sprachen der Maschinen, die bei der eGK eingesetzt werden sollen, vereinheitlicht werden müssten.
"Wir müssen die unterschiedlichen Begrifflichkeiten angleichen", sagte Haas. Auch in weiteren Redebeiträgen wurde vor der "semantischen Fehlinterpretation medizinischer Begriffe" und überflüssigen Doppelentwicklungen aufgrund fehlender Standards gewarnt.
Einen marktwirtschaftlichen Ansatz, die Interoperabilität herzustellen, schlug Ekkehard Mittelstaedt vom bvitg vor. "Die Interoperabilität muss ein Geschäftsmodell sein." Mit den bislang vorgesehenen Instrumenten lasse sich Interoperabilität nicht herstellen. Internationale Standards müssten verbindlich vorgeschrieben werden.
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