Weniger Bürokratie ist möglich - "man müsste uns Ärzten nur vertrauen"
"Eine Menge Spaß" macht Dr. Henning Stolte und seinen Praxis-Kollegen Klaus Arnscheidt und Dr. Daniela Langner die Arbeit als niedergelassene Hausärzte in Niedersachsen. Die Bürokratie wächst aber auch ihnen über den Kopf. Wer wissen will, wo und wie sich die Verwaltungsarbeit teilweise recht schnell reduzieren ließe, müsste nur in der Praxis nachfragen.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Herr Dr. Stolte, wie viele Stunden müssen Sie und Ihre zwei Kollegen in der Praxis jeden Tag für Verwaltungsarbeiten aufwenden?
Stolte: Pro Person fallen bei uns durchschnittlich etwa drei Stunden pro Tag an; darin enthalten sind dann auch die Verwaltungsarbeiten, die am Wochenende oder am Abend verrichtet werden.
Ärzte Zeitung: Ist dieser Aufwand in den vergangenen Jahren signifikant gestiegen?
Stolte: Wir sind seit 2005 niedergelassen, seitdem ist der Aufwand gleichbleibend hoch geblieben. Vor allem die Umsetzung der verschiedenen Abrechnungsreformen hat uns in den Jahren viel Arbeit beschert, die zur Patientenversorgung noch zusätzlich dazu gekommen ist.
Ärzte Zeitung: Welche Bürokratiearbeit verschlingt die meiste Zeit in Ihrer Praxis?
Stolte: Die meiste Zeit beansprucht die Bearbeitung von Kassenanfragen. Pro Tag erreichen uns ungefähr zehn bis zwölf Anfragen. Das ist viel zu viel, und aus unserer Sicht sind sie meistens auch unnötig. Zum Beispiel die Chronikerbescheinigungen: Sie müssen wir alle zwei Jahre ausfüllen, damit die Zuzahlungen für die Patienten verringert werden. Diese Bescheinigungen sind aus unserer Sicht völlig überflüssig, weil die Kassen auch aus der Abrechnung ersehen könnten, ob die Patienten Chroniker sind.
Viel Zeit kosten uns auch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen: Hier werden die Anfragen der Kassen immer engmaschiger, die Patienten werden von den Kassen unter Druck gesetzt. Die Bearbeitung der Anfragen ist für uns aber leider nur auf Papier möglich.
Ärzte Zeitung: Das alles hört sich vor allem nach sehr viel Schreibarbeit an ...
Stolte: Ja, und es geht bei den Anträgen auf Hilfsmittel oder Reha weiter. Die werden oft erst einmal abgelehnt. Wir sollen dann eine frei formulierte Stellungnahme dazu abgeben, als ob wir Ärzte uns beim Antrag nicht schon etwas gedacht hätten! Oft werden die Anträge nachher durchgewunken. Aber für uns ist diese ganze Arbeit sehr aufwendig, und dazu wird die Tätigkeit nicht einmal adäquat vergütet. Und leider können diese ganzen Anträge nur auf dem Papier erledigt werden.
Ärzte Zeitung: Das waren die größten Zeitfresser, die Ihnen die Kassen bescheren. Wie sieht es von Seiten der KV aus?
Stolte: Hier bedeutet vor allem das Monitoring der Praxis einen großen zeitlichen Aufwand: Wir müssen ständig beobachten, ob die RLV, die Laborgrenzen oder die Verordnungsobergrenzen eingehalten werden. Das wäre alles überflüssig, wenn man uns Ärzten mehr Vertrauen entgegenbringen würde. Wir schreiben nichts auf, was unnötig ist. Ein hohe Generikaquote haben wir sowieso, schon damit die Patienten nicht zuzahlen müssen. Das gleiche gilt für das Labor: Als ausgebildete Fachärzte können wir schon einschätzen, welcher Patient welche Laborwerte braucht.
Ärzte Zeitung: Was würden Sie sich von den Kassenärztlichen Vereinigungen und der KBV wünschen in Sachen Bürokratieabbau?
Stolte: Ich würde mir klarere Abrechnungsstrukturen wünschen analog den neuen Hausarztverträgen in Bayern und Baden-Württemberg. Auch die Richtgrößenprüfung gehört abgeschafft. Und es sollte weniger Abrechnungsziffern und mehr Pauschalen geben.
Ärzte Zeitung: Die KBV will jetzt wieder weg von den Pauschalen und hin zu mehr Einzelleistungsvergütung. Was sagen Sie dazu?
Stolte: Für eine große Landarztpraxis wie die unsere wäre das nicht angebracht, es würde zu noch mehr Abrechnungsaufwand führen.
Ärzte Zeitung: Was sagen Sie zu dem Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler, die Praxisgebühr abzuschaffen?
Stolte: Das wäre gut, und das würden wir uns auch von der KBV wünschen. Zumindest sollte die Gebühr bei den Patienten direkt eingezogen werden. Es ist ja nicht unsere Aufgabe als Ärzte, die zehn Euro einzukassieren. Am Anfang eines jeden Quartals bin ich zudem täglich 30 Minuten damit beschäftigt, die eingenommenen Gelder zu verwalten und bei der Bank einzuzahlen.
Ärzte Zeitung: Was würden Sie noch auf die Wunschliste setzen, um die Bürokratie in der Praxis so gering wie möglich zu halten?
Stolte: Es müsste mehr delegierbar sein, zum Beispiel das Ausfüllen von Reha-Anträgen. Hier müsste man vielleicht ein neues Berufsbild schaffen zusätzlich zur Arzthelferin. Außerdem wäre es gut, wenn Formulare vereinfacht würden. Der Antrag für die Reha ist momentan vier eng bedruckte Seiten lang. Und vollkommen verzichtbar sind die Formulare für die Gesundheitsuntersuchungen: Die müssen wir nur ausfüllen, damit sie im Falle einer Stichprobenprüfung vorhanden sind. An die Kassen weitergeschickt werden die Formulare aber nicht, weil die sie nicht haben wollen.
Helfen würden uns auch kürzere Wege, wenn man Anfragen zum Beispiel telefonisch erledigen könnte oder elektronisch. Bei den DMP beispielsweise hat die elektronische Dokumentation den Aufwand erheblich verringert. Bei den DMP-Fortbildungen könnte man aber eines verbessern: Für die Fortbildungspunkte wäre es sinnvoll, wenn die KV auf die Datenbank der Ärztekammer zugreifen könnte. Dann müssten wir der KV nicht die Papiere schicken, um unsere DMP-Fortbildungen nachzuweisen.
Ärzte Zeitung: Auch die Qualitätsanforderungen, die an Ärzte gestellt werden, nehmen zu. Sehen Sie das kritisch?
Stolte: Das bedeutet für uns natürlich Zeitaufwand, aber es ist auch wichtig, weil wir Hausärzte als Lotsen im Gesundheitswesen ja Qualität bieten wollen. Regelmäßige Fortbildungen sind dafür einfach erforderlich.
Ärzte Zeitung: Wie hoch ist der Bürokratieaufwand, der Sie noch zusätzlich als Arbeitgeber und Unternehmer mit Steuererklärungen oder Meldepflichten trifft?
Stolte: Das alles haben wir komplett an ein Steuer- und Gehaltsbüro abgegeben. Das wäre sonst neben der anderen Arbeit gar nicht mehr darstellbar.
Ärzte Zeitung: Glauben Sie, dass die Niederlassung an Attraktivität gewinnen würde, wenn sie mit weniger Bürokratie belastet wäre?
Stolte: Auf jeden Fall. Ich habe auch schon einen Brief an Bundesgesundheitsminister Rösler geschrieben und ihm vorgeschlagen, mit niedergelassenen Ärzten einen Runden Tisch zu bilden. Dann könnten ihm die Leute aus der Praxis sagen, wo es auf den Nägeln brennt und wie der Arztberuf wieder attraktiver gemacht werden könnte.
Das Gespräch führte Julia Frisch.
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