Ein neuer Anlauf zur Gesundheitsprämie
Mut zeigt die Koalition bei der Finanzreform: Sie will - schrittweise und sozial abgefedert - einkommensunabhängige Prämien. Ein Hürdenlauf mit Stolperfallen hat begonnen.
Veröffentlicht:Es war ein veritabler gesundheitspolitischer Richtungsstreit, den sich Union und SPD in ihrer Zwangsehe lieferten: Die Kopfpauschale wollte die CDU und damit die Abkehr von einkommensabhängigen Beiträgen; die Bürgerversicherung auf breiter Basis möglichst unter Einschluss der Privatversicherten präferierte die SPD. Heraus kam der Gesundheitsfonds, eine "Missgeburt", wie die Wirtschaftsweisen in ihrem Jahresgutachten deftig kritisierten.
Ohne die konstruktiven Mängel des Gesundheitsfonds - vor allem die Gestaltung des Zusatzbeitrags - zu beseitigen, will die neue Koalition einen Anlauf unternehmen, nun doch langfristig ein Prämiensystem durchzusetzen.
Grundsätzlich bieten der Gesundheitsfonds und seine Finanzierungssystematik dafür eine Ausgangsbasis. Denn ein wesentliches Ziel, nämlich die Ausgaben für Gesundheit von den Kosten für Arbeit abzukoppeln, hatte bereits 2003 die rot-grüne Koalition in Angriff genommen. Sie führte den Sonderbeitragssatz der Versicherten von 0,9 Prozent ein und hebelte die paritätische Finanzierung in der GKV aus.
Die Taktik: Druck durch unterlassene Hilfeleistung
Die große Koalition ging dann einen Schritt weiter: Sie nahm den Kassen ein Stück Beitragsautonomie und setzte den Beitragssatz auf 14,9 Prozent fest. Autonomie haben die Kassen aktuell nur beim Zusatzbeitrag.
Nur ist dieser Beitrag aktuell auf ein Prozent des Einkommens begrenzt - unfair für Kassen mit Mitgliedern, die unterdurchschnittlich verdienen (was nicht heißen muss, dass diese Kassen unwirtschaftlich sind).
Allem Anschein nach plant die Koalition in diesem Punkt keine Korrektur, sondern wartet ab. Man könnte das auch als tatenloses Foltern bezeichnen - jedenfalls wird der Druck, Zusatzbeiträge zu erheben, im Lauf des Jahres 2010 immer größer werden und spätestens 2011 etliche Kassen vor die Existenzfrage stellen.
Die Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes scheidet dabei aus, denn damit würden die Lohnnebenkosten steigen, und die Koalition würde gegen ihre eigenen Prinzipien verstoßen.
Jenseits der ohnehin bis 2014 geplanten steigenden Steuerzuschüsse sind weitere außerordentlich Hilfen vom Bund höchst unwahrscheinlich - alle Zusagen für Hilfen aus dem Staatssäckel beziehen sich auf krisenbedingte Einnahmeausfälle.
So bleibt als logischer Ausweg nur der Zusatzbeitrag und dessen Ausgestaltung als einkommensunabhängige Prämie.
Die Tinte unter dem Koalitionsvertrag war allerdings noch nicht trocken, als die Sozialpolitiker jeglicher Provenienz in Protestgeheul ausbrachen. Für SPD, Linke und Grüne gilt eh, dass einkommensunabhängige Krankenkassenbeiträge kalter Neoliberalismus sind.
Aber auch die Herz-Jesu-Fraktion der Union rüstet zum Widerstand: an vorderster Stelle der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, der sich schon zum "sozialen Gewissen" der Koalition ernannt hat; er dürfte Unterstützung finden im Arbeitnehmerflügel der Union, bei dessen Chef, dem nordrhein-westfälischen Sozialminister Josef Laumann und dem NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers.
Nur kleine Schritte, sozial abgefedert, unbürokratisch
Darum gilt: Wer überhaupt über die Prämie spricht, der betont ausdrücklich, dass sie nur schrittweise kommt und zweitens über das Steuersystem unbürokratisch sozial abgefedert wird.
Damit freilich ist Polen offen: Fällt der erste Schritt zaghaft aus, kann eine (andere) Folge-Regierung alles revidieren. Und jeder Folgeschritt für eine höhere Prämie wird für Regierung und Parlament zur Tortur.
Ein mutiger Schritt ist aber nicht beabsichtigt - und ebenfalls unwahrscheinlich. Warum? Erforderlich wäre, innerhalb des Steuersystems große Milliardenbeträge für den Solidarausgleich zu mobilisieren. Für 2011 will die Koalition aber ein Steuerstrukturgesetz mit einem Entlastungsvolumen von über 20 Milliarden Euro - plus Haushaltskonsolidierung. Wie dies alles zusammenpasst, ist erklärungsbedürftig. Warten auf den Deus ex Machina: Wachstum.
- Editorial
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